sueddeutsche.de, 23.12.2008

"Türkei erfüllt Auflagen nicht"

Berlin entzieht Unterstützung für umstrittenen Ilisu-Damm

Istanbul - Die Bundesregierung in Berlin rechnet nicht mehr damit, dass die Türkei die vereinbarten Auflagen zum umstrittenen Ilisu-Staudammprojekt am Tigris noch erfüllt. Ein Ausstieg Deutschlands aus der Finanzierung des Projekts scheint somit nur mehr reine Formsache zu sein, obwohl der Türkei von den europäischen Partnerländern offiziell noch einmal 180 Tage gegeben werden zur Einhaltung der Auflagen. Nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit BMZ suspendiert die Bundesregierung vorerst die Verträge zur Finanzierung des Damms, nachdem sie einen Großteil von mehr als 150 Auflagen "nicht erfüllt" sieht. Deutschland hatte gemeinsam mit der Schweiz und mit Österreich Exportkredit-Bürgschaften bereitgestellt. Diese liegen nun auf Eis. Wenn der Schutz von Menschen, Umwelt und Kultur "nicht sichergestellt" sei, würden die Verträge mit der Türkei nach Ablauf der Frist endgültig gelöst, sagte ein BMZ-Sprecher am Montag in Berlin. Dem 1,2 Milliarden Euro teuren Ilisu-Damm im Südosten der Türkei fiele der Lebensraum von etwa 70 000 kurdischen Bauern sowie die antike Felsenstadt Hasankeyf zum Opfer. Eine internationale Expertenkommission war im Auftrag der europäischen Partner zwei Mal in die Region gereist, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen und hatte beide Male schwere Verstöße gemeldet. Zuletzt war bekannt geworden, dass die Türkei vertragswidrig schon mit Bauarbeiten im Flussbett begonnen hatte. Zudem ordnete Ankara unter Berufung auf Notstandsgesetze am 30. November die Zwangsenteignung von mehr als 20 Dörfern an. Die Bundesregierung fühle sich "an der Nase herumgeführt", sagte Erich Stather, Staatssekretär im BMZ, der Frankfurter Rundschau. Es sei darum die nötige klare Reaktion, die Lieferverträge zu suspendieren. Er gehe davon aus, dass das Projekt "nun keine Chance mehr" habe, mit deutscher Beteiligung gebaut zu werden: "Wir lassen keine Spielchen mehr mit uns machen", sagte Stather. Kai Strittmatter