Welt Online, 23.12.2008 Kampf ums Wasser ohne deutschen Kredit Von Boris Kalnoky Berlin bereitet seinen Ausstieg aus der Finanzierung eines Staudammprojektes in der Türkei vor, weil Ankara die Auflagen nicht erfüllt Seit Jahrzehnten plant die Türkei einen meisterhaften Coup: Ingenieure sollen die türkische Herrschaft über das Wasser des Nahen Ostens sichern, den kurdischen Rebellen der PKK Kommunikationswege abschneiden, das Ganze soll auch noch der Energiegewinnung dienen, und finanzieren soll es der Westen. Das alles würde der Ilisu-Staudamm leisten, wenn er denn gebaut würde: 135 Meter hoch, 1800 Meter breit. Mit ihm soll das Wasser des Tigris auf einer 300 Quadratkilometer großen Fläche gestaut und ein 1200-Megawatt-Wasserkraftwerk angetrieben werden. Ein Wunder der Technik. Aus dem Mammutprojekt droht nun aber ein Wunder kritischer PR-Arbeit von Umweltschützern und Menschenrechtlern zu werden. Sie könnten es schaffen, die stolzen Pläne türkischer Planer zum zweiten Mal zum Scheitern zu bringen. Deutschland, die Schweiz und Österreich wollen Kreditbürgschaften in Höhe von 450 Millionen Euro zurückziehen, weil die Türkei rund 150 Auflagen der Weltbank für das Projekt nicht erfüllt hat. Nicht nur das - obwohl eine Frist zur Erfüllung dieser Auflagen ablief und obwohl die Türkei wusste, dass sie kaum etwas unternommen hatte, um die Bedingungen zu erfüllen, begann sie laut Medienberichten schon mit den Bauvorbereitungen, leitete die erforderlichen Enteignungen der Anwohner ein und brach damit internationale Vereinbarungen, vorerst keinerlei weitere Schritte zu unternehmen, bis die Auflagen erfüllt sind. Diese betreffen unter anderem die Sicherung bedrohter Kulturschätze, die Entschädigung von Anwohnern, die umsiedeln müssen, und Umweltschutz. Der größte kulturelle Verlust wäre die Stadt Hasankeyf, 3600 Einwohner, eine antike Höhlenstadt am Tigris. 15 Zivilisationen hinterließen ihre Spuren, seit hier Assyrer siedelten, 700 Jahre vor Christus. Aber gewohnt wurde in den Höhlen am Tigris seit der Steinzeit. "Hier sind Überreste einer der ältesten belegbaren menschlichen Siedlungen", sagt Archäologe Ali Demirkan. All das soll, wenn der Staudamm steht, überflutet werden, bevor es wirklich erforscht ist. Die Türkei hat sich verpflichtet, Hasankeyf weiter weg vom Wasser wieder aufzubauen. Das geht zwar gar nicht - man müsste die Berge versetzen, um die Höhlen zu retten -, aber die Geldgeber ließen sich darauf ein. Nur, offenbar hat die türkische Regierung nicht einmal für solche unzulänglichen Maßnahmen wie Nachbildungen seriöse Vorbereitungen getroffen. Die zweite zentrale Bedingung ist eine anständige Entschädigung der Anwohner. Ein Besuch vor anderthalb Jahren zeigte, dass die meisten Anwohner bereit schienen, Kompensationen zu akzeptieren in Höhe von beispielsweise "20 Prozent mehr als der Wert unseres Hauses". Niemand wollte aber in - von der Regierung vorgeschlagene - neu gebaute Dörfer ziehen. Deren Zweck bestünde auch darin, die als verdächtig geltende Bevölkerung zu kontrollieren - dies ist PKK-Land, und fast jede Familie hat Freunde oder Verwandte im kurdischen Kampf gegen die Regierungstruppen verloren oder hat sie heute noch "in den Bergen". Nun hat man in Ankara laut Medienberichten schlicht Enteignungen der - je nach Darstellung - 11 000 bis 65 000 betroffenen Anwohner eingeleitet. Der dritte Punkt in der Mängelliste betrifft vernachlässigte Umweltschutzmaßnahmen. Die politischen Probleme, die das Projekt hervorruft, sind jedoch noch viel umfassender. Die Nachbarstaaten Irak und Syrien sind besorgt. Der irakische Wasserminister Latif Raschid äußerte sich im vergangenen Jahr "extrem beunruhigt". Bagdad fürchtet, dass das Land 40 Prozent seiner Agrarböden verlieren wird. Die Türkei könnte die Wassermenge des Tigris im Irak um fast die Hälfte reduzieren - und jenes Wasser bestünde aus Rückflüssen türkischer Bewässerungssysteme, womit sich der Versalzungsgrad verdoppeln würde. Ihm zufolge ist das Staudammprojekt nicht Energiepolitik, sondern ein Kampf um die "Herrschaft über das Wasser". Aus all den politischen Gründen scheint die Türkei entschlossen, aus eigener Kraft das Projekt voranzutreiben: Umweltminister Eroglu erklärte kürzlich, ein Ausstieg der Europäer werde "überhaupt keine Konsequenzen" haben. Die Türkei könne notfalls "noch viel größere Staudämme" bauen. Ob das stimmt, bleibt
abzuwarten. Schon einmal - in den Achtzigerjahren - war das Projekt ganz
ähnlich gescheitert. Damals protestierten Menschenrechtler und Umweltschützer
- woraufhin westliche Geldgeber sich aus dem Projekt zurückzogen. Im Augenblick
ringt die Türkei um neue Kredite des Internationalen Währungsfonds, um
die strauchelnde Volkswirtschaft zu retten. Ob Ankara gerade in dieser
Zeit knapper Kredite die zwei Milliarden Euro für das Projekt auftreiben
kann, ist jedoch fraglich.
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