swissinfo.ch, 24.12.2008 Schweiz stoppt Exportrisikogarantie für Ilisu-Staudamm Der Dämpfer für das Ilisu-Staudammprojekt ist eine Chance für die 10'000-jährige Stadt Hasankeyf. Die Exportrisikoversicherungen der Schweiz, Deutschlands und Österreichs setzen die Lieferverträge für das umstrittene türkische Ilisu-Staudammprojekt aus. Während NGOs den Entscheid begrüssen, reagieren die beteiligten Firmen enttäuscht. Voraussetzung für die Kreditgarantien der drei Länder ist die Erfüllung von rund 150 Auflagen in den Bereichen Umwelt, Umsiedlung und Kulturgüter. Die Fortschritte der Türkei im Planungsbereich reichten nicht aus, um die Bauarbeiten freizugeben, heisst es in einer gemeinsamen Mitteilung der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (SERV), der Österreichischen Kontrollbank und der deutschen Euler Hermes. "Dieser Entscheid bedeutet jedoch nicht, dass wir definitiv aus dem Projekt aussteigen", sagte Sonja Kohler vom SERV. Gemäss Vertrag erteilen die Exportversicherungen der Türkei eine weitere, 180-tägige Frist, um das Projekt "gemäss Weltbankstandards" umzusetzen. In der Zwischenzeit sind die Arbeiten am Ilisu-Staudammprojekt aufgeschoben. Davon sind auch die im Konsortium vertretenen Schweizer Bau- und Ingenieurfirmen Maggia, Colenco, Stucky sowie der Turbinenbauer Alstom betroffen. Die Bauarbeiten dürfen nicht starten, den europäischen Firmen ist es verboten, Waren zu liefern und die europäischen Banken dürfen ihre zugesagten Kredite nicht auszahlen. Der Bundesrat hatte den vier Firmen Ende März 2007 die Exportrisikogarantie für den Ilisu-Staudamm für Leistungen im Umfang von 225 Mio. Franken genehmigt. « Ich hoffe, das markiert das Ende eines absurden Projekts. » Der Ilisu-Staudamm soll in der Südosttürkei am Tigris, rund 60 Kilometer von der Grenze zu Syrien und dem Irak, gebaut werden. Es handelt sich um das grösste Staudammprojekt der Türkei. Die Regierung in Ankara verspricht sich vom Projekt Entwicklung und Unterstützung der Region. Das Kraftwerk, das voraussichtlich 2013 fertig gestellt werden sollte, soll mit einer Leistung von 1200 Megawatt rund zwei Millionen Haushalte in der Türkei mit Energie beliefern. Gegner des Projekts warnten jedoch davor, dass in der hauptsächlich von Kurden bewohnten Region Dutzende von Siedlungen und wertvolle Kulturgüter, wie die 10'000 Jahre alte Stadt Hasankeyf, dem Untergang geweiht würden. Rund 60'000 Menschen müssten gemäss NGOs den Fluten weichen und ihre Heimat verlassen. Das türkische Aussenministerium widerspricht dieser Kritik: Lediglich ein Teil von Hasankeyf werde überflutet, heisst es auf dessen Webseite. Das Aussenministerium schätzt die Zahl der Menschen, die umgesiedelt werden müssen, auf rund 15'000. "Wenn die 65
Mio. Einwohner der Türkei die Möglichkeit haben sollen, ein modernes Leben
zu führen, müssen die archäeologischen Interessen den wirtschaftlichen
untergeordnet werden", heisst es weiter. Die beteiligten Firmen äusserten sich enttäuscht über die Suspendierung des Ilisu-Staudammprojekts : "Diese Reaktion ist überzogen und setzt der Türkei ein falsches Signal", sagte Wolfgang Leitner, Chef des österreichischen Turbinenherstellers Andritz, im Namen des Konsortiums. Angesichts der Wirtschaftskrise sei es "völlig unverständlich", dass die Kreditversicherer "Aufträge für heimische Firmen aufs Spiel setzen". Verschiedene Schweizer Bundesräte haben in den vergangenen Monaten Gespräche mit türkischen Ministern geführt. Marlies Bänzinger von der grünen Partei freut sich über die Suspendierung: "Ich hoffe, das markiert das Ende dieses absurden Projekts, dieses Prototyps eines wahnsinnigen Unternehmens." Gemäss Bänzinger spielt der öffentliche Druck im Kampf gegen dieses Projekt eine wichtige Rolle. Sie ist überzeugt, dass dieser auch auf den neuen Entscheid der Exportrisikoversicherer Einfluss hatte. Auch die Erklärung von Bern (EVB) begrüsst die Suspendierung. "Wir werden darüber wachen, dass die Regierung die Lieferung von Gütern für sechs Monate einstellt", sagt Christine Eberlein. Gemäss EVB gingen der Türkei ohne die Unterstützung des Projekts aus Deutschland, Österrreich und der Schweiz rund 759 Mio. Franken verloren. Die Chance, andere Investoren zu finden, seien angesichts der weltweiten Finanzkrise gering, so Eberlein. swissinfo, Urs Geiser
|