Der Standard, 23.03.2009 UN-Studie sieht drohende Wasserkrise Weltwasserforum in Istanbul beendet: Die Grundfrage, ob sauberes Wasser nur ein Grundbedürfnis sei oder auch ein Grundrecht, blieb ungeklärt Istanbul - Die Botschaft des 5. Weltwasserforums in Istanbul ist eindeutig: "Easy water is over" - die Zeit, in der Wasser in ausreichendem Maße verfügbar war, ist vorbei. Angefangen von der UNO über die Sprecher der privaten Wasserkonzerne bis hin zu den aus aller Welt angereisten NGOs sind sich im Befund alle einig: Die Welt steuert auf eine veritable Wasserkrise zu. Allerdings sind die Konsequenzen daraus bisher wenig substanziell. "Die offizielle Abschlusserklärung des Weltwasserforums ist eine Ansammlung unverbindlicher Plattitüden statt eines konkreten Aktionsplanes" , kritisierte Martin Geiger vom "World Wildlife Found" (WWF). Gleich zu Beginn der einwöchigen Veranstaltung, des größten jemals organisierten internationalen Zusammentreffens rund ums Wasser, legte die UNO ihren 3. Bericht zur Situation des Süßwassers vor. Der Befund ist dramatisch: Durch Bevölkerungswachstum, Klimawandel und den nach wie vor verschwenderischen Umgang mit Wasser drohen ernste Krisen, die wie im Sudan zu Bürgerkriegen führen können oder wie im Nahen Osten auch das Potenzial zu zwischenstaatlichen Krisen haben. Schon jetzt, so die Autoren der Studie, William Cosgrove und Olcay Ünver, haben von 6,5 Milliarden Menschen weltweit fast drei Milliarden keinen gesicherten Zugang zu sauberem Wasser. Das derzeitige Bevölkerungswachstum (die UNO geht von 9,5 Milliarden bis 2050 aus) würde vor allem in den weniger entwickelten Ländern dazu führen, dass der Zugang zum wichtigsten Gut für das menschliche Leben immer schwieriger wird. So einig sich alle Experten auf dem Weltwasserforum über den Befund sind, so sehr unterscheiden sich die Forderungen, die daraus abgeleitet werden. Anders als die meisten NGOs, die auf ihrem parallel veranstalteten Alternativkongress für kleinteilige Lösungen plädierten, fordern sowohl die UNO als auch fast alle in Istanbul vertretenen Politiker aus mehr als 120 Ländern sowie die Lobbyisten der Privatwirtschaft großtechnische Lösungen. "Wir brauchen mehr Staudämme" , rief der bei der Unesco zuständige Direktor für Hydrologie, András Szöllösy-Nagy, ins Publikum, "das ist einfach Fakt, auch wenn viele NGOs das nicht einsehen wollen." Außerdem seien mehr Meerwasserentsalzungsanlagen und eine Erneuerung der Wasserinfrastruktur notwendig. Anders seien die bis 2050 zu erwartenden weiteren drei Milliarden Menschen auf keinen Fall mit Wasser zu versorgen. Die UNO hat auch keine Berührungsängste gegenüber der Privatwirtschaft. Private, forderte William Cosgrove, müssten viel stärker als bisher in Wasserinfrastruktur investieren, die Staaten allein könnten das auf keinen Fall stemmen. Der Appell wird von der privaten Wasserwirtschaft mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, was aber auch nicht verwunderlich ist, wenn man erfährt, wie eng UNO und Privatwirtschaft verknüpft sind. So ist Gerard Payen, Präsident der Internationalen Vereinigung der privaten Wasserwirtschaft und Manager von Suez, einem der größten globalen Wasserkonzerne, gleichzeitig Berater von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Im Gespräch mit dem Standard wehrt er sich gegen den Vorwurf, die Privaten wollten mit einem elementaren Bedürfnis Profite machen. "Auch die Kommunen verdienen mit Wasser Geld", so Payen, und Staaten seien oft nicht in der Lage, die Menschen zu versorgen. Die Sonntag verabschiedete
"Istanbul Deklaration" ließ die Frage offen, ob der Zugang zu
sauberem Wasser nur als Grundbedürfnis oder als Grundrecht für alle Menschen
eingestuft werden soll. Sie wurde in der Abschlusserklärung einfach ausgeklammert.
(Jürgen Gottschlich/DER STANDARD, Printausgabe, 23.3.2009)
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