Der Standard, 23.03.2009 "Der Staudamm ist eine solche Schande" Zur Stromgewinnung und Bewässerung des Landes will die Türkei ehrgeizige Staudamm-Pläne durchpeitschen - Die Folgen für Bewohner und Ökologie werden heruntergespielt Für den umstrittenen Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei soll die geschichtsträchtige Stadt Hasankeyf geflutet werden. Die Proteste zeigen Wirkung. Es ist so falsch, was sie gemacht haben, es ist eine solche Schande." Hamza Yazgan stehen Tränen in den Augen, wenn er darüber spricht. Es geht um die Zerstörung seines Heimatortes Halfeti. Es war vor sieben Jahren, als das Wasser kam und rund die Hälfte des Städtchens unter den Fluten des neuen Staudamms versank. Wer den Ort von früher nicht kennt, glaubt sich zunächst an ein idyllisches Plätzchen versetzt. Schöne alte Häuser ziehen sich den Hang hoch, unten schimmert des türkisfarbene Wasser des Euphrat. Doch schon auf den zweiten Blick wird es merkwürdig. Viele der schönen alten Steinhäuser zeigen deutliche Spuren der Verwahrlosung. Auch die Gässchen sind verödet, nur wenige Kinder spielen auf der Straße. Besonders obskur wird es am Seeufer. Überall stehen Schilder mit der Aufschrift "Schwimmen verboten". Denn nur allzu leicht könnten sich Schwimmer am Minarett und den Hausdächern des ehemaligen Halfeti verletzen, die teils nur wenige Zentimeter unter dem Wasser vor sich hin rotten. Hamza Yazga zeigt auf eine Stelle im See und beteuert, dass genau dort, unter den Fluten sein Garten liegt. "Alles ist hier gewachsen, Mandarinen, Feigen, Maulbeerbäume, Oliven und Gemüse, so viel du wolltest. Wir konnten vom Verkauf sehr gut leben." Er hat damals vom Staat 50.000 Lira, rund 20.000 Euro, als Entschädigung bekommen. "So viel haben wir mit unseren Feldern und Gärten in ein paar Jahren erwirtschaftet", rechnet er vor. "Der Staudammbau war ein Verbrechen", sagt er. Der türkische Staat sieht das natürlich anders. Bereits in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden die Pläne für ein großes Entwicklungsprojekt zwischen Euphrat und Tigris. Sie sehen vor, durch insgesamt 22 Staudämme am Oberlauf der beiden mesopotamischen Ströme und ihren Nebenflüssen Elektrizität zu gewinnen und große Flächen ausgedörrten Landes zu bewässern. Dieses sogenannte GAP-Projekt ist mittlerweile gut zur Hälfte realisiert. Fünfzehn Dämme sind bereits entstanden, fünf allein am Euphrat. Der letzte davon ist der Birecik-Damm, kurz vor der türkisch-syrischen Grenze. Oberhalb des Damms hatte sich der Euphrat über Millionen Jahre einen tiefen Canyon gegraben, der nun weitgehend geflutet wurde. Dass einst so zauberhafte Orte wie Halfeti oder die archäologische Stätte der ehemals römischen Großstadt Zeugma mit ihren weltberühmten Mosaiken damals unter dem Wasser verschwanden, sei zwar bedauerlich, meinen die Verantwortlichen der staatlichen Wasserbehörde DSI, aber im Vergleich zum Gewinn doch unerheblich. Mehr als 30.000 Menschen mussten wegen des Birecik-Damms umgesiedelt werden. Wer heute durch die außerhalb des Canyons gelegene Ersatzsiedlung Neu-Halfeti fährt, kann die Konsequenzen des Damms allerdings kaum "unerheblich" finden. Es ist eine traurige Ansammlung halbfertiger Betonhütten, in der sich kaum neues Leben entwickelt. Die meisten durch den Staudamm Vertriebenen sind deshalb auch nicht in den Ersatzsiedlungen geblieben, sondern längst in den Slums der größeren Städte gelandet. Zurück blieben die alten Leute - wie der 60-jährige Hamza Yazgan. Was in Halfeti bereits traurige Realität ist, steht den Menschen am Tigris oberhalb des geplanten Ilisu-Staudammes noch bevor. Das in der Tiefebene des nördlichen Mesopotamiens gelegene Gebiet gilt mit seinen Orten Urfa, Diyarbakir, Batman, Hasankeyf als die älteste bekannte Kulturlandschaft der Welt. Hasankeyf ist zum Symbol des Widerstandes gegen den Ilisu-Staudamm am Tigris geworden. Der Ort ist eine archäologische Schatztruhe. An einer Tigris-Furt gelegen, weist der Ort Spuren menschlicher Besiedlung auf, die bis zu 10.000 Jahre zurückreichen. Antike Nekropole, jahrhundertealte Moscheen, Reste einer einstmals reichen Stadt über dem Tigris sollen in wenigen Jahren genauso geflutet werden wie die Felder und Häuser der noch in Hasankeyf lebenden Menschen. Seit Jahren kämpfen die Einwohner gegen den drohenden Damm. "Ich bin jetzt 30 Jahre alt" , erzählt Ömer, dessen Familie ein kleines Fischrestaurant betreibt, "seit ich denken kann, werden wir hier durch die Staudammpläne terrorisiert." Pläne für 800 Staudämme Doch im Moment wächst in Hasankeyf wieder die Hoffnung. Die staatlichen Bürgschaften von Deutschland, der Schweiz und Österreich, mit deren Hilfe der auf zwei Milliarden Dollar (1,47 Mrd. Euro) veranschlagte Bau finanziert werden soll, sind in der Schwebe, weil die türkische Regierung bislang einen großen Teil der Auflagen, die den Damm ökologisch und sozial verträglich machen sollen, nicht eingehalten hat. Im Moment läuft ein letztes Moratorium bis Anfang Juni, dann soll die endgültige Entscheidung fallen, ob die europäischen Länder aus dem Projekt aussteigen oder nicht. Denn obgleich sich alle drei Länder die Aufträge für ihre Baufirmen ungerne entgehen lassen wollen, ist angesichts der anhaltenden Proteste und vor allem der internationalen Finanzkrise ein Ausstieg derzeit wahrscheinlicher als das sture Festhalten an dem Staudamm. Die im vorigen Jahr begonnenen Bauarbeiten am Ilisu-Damm sind derzeit eingestellt. Die Baustelle, ungefähr 60 km von Hasankeyf entfernt, vermittelt aber jetzt schon einen guten Eindruck davon, was für eine gigantische Mauer hier geplant ist. Zwei Kilometer lang, von einem Berggipfel zum anderen und 350 Meter hoch wird der Damm den Tigris fast 400 km weit zurück aufstauen. Da wo der Damm gebaut werden soll, sind die Flanken der Berge schon aufgefräst, die Gegend gleicht jetzt schon einer Mondlandschaft. Rundum hat das Militär Position bezogen. Sollte Ilisu gebaut werden, wäre das nicht nur für die 50.000 Menschen, die dann umgesiedelt werden müssten, eine Katastrophe, auch ökologisch leidet die Türkei schon jetzt erheblich unter den bereits bestehenden 258 Staudämmen, die über das ganze Land verteilt sind. Die Dämme, erläutert Güven Eken von Doga Dernegi, blockieren den natürlichen Wasserkreislauf, zerstören riesige Flussdeltas und führen teilweise dazu, dass der Niederschlag in den Bergregionen, aus denen die gestauten Flüsse gespeist werden, dramatisch abnimmt. Einzelne Staudämme drohen deshalb bereits wieder zu verlanden. Doch die türkische
Regierung schert sich bislang nicht um die ökologischen Konsequenzen.
Im Gegenteil, sie hat erst gerade den Bock zum Gärtner gemacht und den
obersten Staudamm-Lobbyisten, den bisherigen Chef der landesweiten Wasserwerke
DSI, Veysel Eroglu, zum Umweltminister gemacht. Der verkündete prompt,
Staudämme seien die beste Art, kohlendioxidfrei Strom zu erzeugen, und
will deshalb in den kommenden Jahren in der Türkei zusätzlich zu den bereits
existierenden Dämmen insgesamt noch 800 neue Staudämme bauen lassen. (Jürgen
Gottschlich aus Halfeti/DER STANDARD, Printausgabe, 23.3.2009)
|