Die Presse, 03.01.2015

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Die Stunde der Wahrheit für Erdoğan

Am Montag entscheidet ein Parlamentsausschuss über den Korruptionsprozess gegen Erdoğans Ex-Minister. Dem Präsidenten wird die Affäre vor den Parlamentswahlen unangenehm.

unserer Korrespondentin Susanne Güsten (Die Presse)

Istanbul. Gut ein Jahr nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen einige Minister der türkischen Regierung rückt das Thema erneut in den Mittelpunkt des Interesses. Am Montag entscheidet ein Untersuchungsausschuss des Parlaments in Ankara darüber, ob die vier wegen der Vorwürfe zurückgetretenen Minister vor Gericht gestellt werden sollen. In der Regierungspartei AKP regt sich Widerstand gegen den Wunsch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die Politiker von allen Vorwürfen freizusprechen.

Hakki Köylü ist in seiner bisherigen politischen Karriere in der AKP nicht als Revoluzzer aufgefallen. Der frühere Anwalt und Staatsanwalt sitzt seit dem Regierungsantritt der Erdoğan-Partei vor zwölf Jahren als Hinterbänkler im Parlament, doch jetzt fällt dem 64-Jährigen eine Schlüsselrolle in einer hochbrisanten Angelegenheit zu. Köylü ist Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, der sich in den vergangenen Monaten die Korruptionsvorwürfe gegen die Ex-Minister angesehen hat und der jetzt über einen Prozess gegen die Politiker entscheiden muss.

Erdoğan kann nicht sicher sein, dass der Parteisoldat Köylü tut, was er von ihm erwartet: Köylü nimmt seine Aufgabe als Ermittler ernst und besteht auf dem Recht des Ausschusses, die vier Ex-Minister und ihre Vermögensverhältnisse genau unter die Lupe zu nehmen.

Ex-Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan, der frühere EU-Minister Egemen Bağiş, der ehemalige Innenminister Muammer Güler und Ex-Bauminister Erdoğan Bayraktar waren Ende 2013 von Istanbuler Staatsanwälten im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen genannt worden. Cağlayan ließ sich demnach etwa von einem Geschäftsmann eine Schweizer Edelarmbanduhr im Wert von mehreren hunderttausend Euro schenken. Erdoğan ließ die damaligen Staatsanwälte und viele an dem Fall beteiligten Polizisten feuern, anschließend stellte die auf Linie gebrachte Justiz die Ermittlungen ein.


Dubiose Vermögenszuwächse

Im Parlament von Ankara aber gingen die Nachforschungen weiter. Die AKP hat im Untersuchungsausschuss mit neun von 15 Mitgliedern zwar die Mehrheit, doch auch in der Regierungspartei regt sich Unmut angesichts des Verhaltens der beschuldigten Ex-Minister. Gutachter sprachen im Ausschuss von erheblichen Vermögenszuwächsen bei drei der vier Politiker, doch die Betroffenen wollten oder konnten nicht so recht erklären, woher sie das viele Geld haben.

Details der Beratungen drangen trotz Nachrichtensperre an die Öffentlichkeit, was den Druck auf die AKP erhöhte: Einige Abgeordnete fragen sich, was sie ihren Wählern erzählen sollen, wenn die Ex-Minister ungeschoren davonkommen. Spätestens im Juni stehen Parlamentswahlen an. Laut Medien ist in der AKP im Gespräch, mindestens einen Ex-Minister vor Gericht zu stellen, um nicht den Eindruck zu vermitteln, sie sei eine Partei, die korrupte Politiker schützt.

Erdoğan drängt laut Presseberichten aber darauf, alle Ex-Minister freizusprechen. Schließlich würde eine Anklage durch das Parlament seine These, wonach die Korruptionsvorwürfe haltlos und Teil eines finsteren Komplotts gegen die Regierung seien, in sich zusammenbrechen lassen. Wegen der Differenzen zwischen der AKP-Führung und den Abgeordneten wurde die Abstimmung im Ausschuss von Ende Dezember auf diesen Montag verschoben.

Am Montag steht die Stunde der Wahrheit an. Ausschussvorsitzender Köylü wies laut Berichten die Unschuldsbeteuerungen von zwei Ex-Ministern als unglaubwürdig zurück und deutete an, dass Vermögenswerte der Betroffenen konfisziert werden könnten. Der Ausschuss fasst eine Entschlussempfehlung an das Parlamentsplenum. Dort fällen die Abgeordneten in den kommenden Wochen die endgültige Entscheidung über ein Verfahren gegen die vier Ex-Minister vor dem Verfassungsgericht.

Oppositionszeitungen berichten, Erdoğan mache persönlich Druck auf die Ausschussmitglieder, um einen Freispruch der Politiker zu erreichen. Doch zumindest einige Abgeordnete können es sich leisten, nur nach ihrem Gewissen zu entscheiden. So scheidet Ausschuss-Chef Köylü nach drei Legislaturperioden im Sommer aus dem Parlament aus – er muss Erdoğan keinen Gefallen mehr tun.

AUF EINEN BLICK

Am Montag wird ein Untersuchungsausschuss des türkischen Parlaments eine Empfehlung aussprechen, ob gegen Ex-Minister aus den Reihen der AKP ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden soll. Es geht um Korruptionsvorwürfe. Präsident Erdoğan würde die Affäre gern für beendet erklären. Doch unter den Parlamentariern regt sich Unmut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)