Der Tagesspiegel, 02.01.2015 http://www.tagesspiegel.de/politik/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-wehrt-sich-gegen-anklage/11179192.html Recep Tayyip Erdogan wehrt sich gegen Anklage von Thomas Seibert Der türkische Präsident wittert hinter den Korruptionsvorwürfen, die gegen seine Ex-Minister erhoben wurden, ein Komplott gegen die Regierung. Nun entscheidet ein Untersuchungsausschuss des Parlaments, ob gegen die vier Anklage erhoben werden soll. Gut ein Jahr nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen einige Minister der türkischen Regierung rückt das Thema erneut in den Mittelpunkt des Interesses. An diesem Montag entscheidet ein Untersuchungsausschuss des Parlaments in Ankara darüber, ob die vier wegen der Vorwürfe zurückgetretenen Minister vor Gericht gestellt werden sollen. In der Regierungspartei AKP regt sich Widerstand gegen den Wunsch von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Politiker von allen Vorwürfen freizusprechen. Der Unbeugsame Hakki Köylü ist in
seiner bisherigen politischen Karriere in der AKP nicht als Revoluzzer
aufgefallen. Der frühere Anwalt und Staatsanwalt sitzt seit dem Regierungsantritt
der Erdogan-Partei vor zwölf Jahren als Hinterbänkler im Parlament, doch
jetzt fällt dem 64-jährigen eine Schlüsselrolle in einer hochbrisanten
Angelegenheit zu. Köylü ist Vorsitzender des Untersuchungsausschusses,
der sich in den vergangenen Monaten die Korruptionsvorwürfe gegen die
Ex-Minister angesehen hat und der jetzt über einen Prozess entscheiden
muss. Erhebliche Vermögenszuwächse Ex-Wirtschaftsminister
Zafer Caglayan, der frühere EU-Minister Egemen Bagis, der ehemalige Innenminister
Muammer Güler und Ex-Bauminister Erdogan Bayraktar waren Ende 2013 von
Istanbuler Staatsanwälten im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen
genannt worden. Caglayan ließ sich demnach unter anderem von einem Geschäftsmann
eine Schweizer Edel-Armbanduhr im Wert von mehreren hunderttausend Euro
schenken. Details der Beratungen drangen trotz einer verhängten Nachrichtensperre an die Öffentlichkeit, was den Druck auf die AKP erhöhte: Einige Abgeordnete fragen sich, was sie ihren Wählern erzählen sollen, wenn die Ex-Minister ungeschoren davonkommen. Spätestens im Juni stehen in der Türkei Parlamentswahlen an. Laut Medienberichten ist in der AKP im Gespräch, mindestens einen Ex-Minister vor Gericht zu stellen, um nicht den Eindruck einer Partei zu vermitteln, die korrupte Politiker schützt. Erdogan macht Druck Erdogan dringt laut Presseberichten aber darauf, alle früheren Minister freizusprechen. Schließlich würde eine Anklage durch das Parlament seine These, wonach die Korruptionsvorwürfe haltlos und Teil eines finsteren Komplotts gegen die Regierung sind, in sich zusammenbrechen lassen. Wegen der Meinungsverschiedenheiten zwischen der AKP-Führung und den Abgeordneten wurde die Abstimmung im Ausschuss von Ende Dezember auf diesen Montag verschoben. Jetzt steht die Stunde der Wahrheit an. Der Ausschussvorsitzende Köylü wies laut Medienberichten die Unschuldsbeteuerungen von zwei Ex-Ministern als unglaubwürdig zurück und deutete an, dass Vermögenswerte der Betroffenen konfisziert werden könnten. Der Ausschuss fasst am Montag eine Entschlussempfehlung an das Parlamentsplenum. Dort fällen die Abgeordneten in den kommenden Wochen die endgültige Entscheidung über ein Verfahren gegen die vier Ex-Minister vor dem Verfassungsgericht. Oppositionszeitungen berichten, Erdogan mache persönlich Druck auf die Ausschussmitglieder, um einen Freispruch der Politiker zu erreichen. Doch zumindest einige Abgeordnete können es sich leisten, nur nach ihrem Gewissen zu entscheiden. So scheidet Auschuss-Chef Köylü nach drei Legislaturperioden im Sommer aus dem Parlament aus – er muss Erdogan keinen Gefallen mehr tun.
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