Der Tagesspiegel, 05.01.2015 http://www.tagesspiegel.de/politik/tuerkei-regierung-attaktiert-verfassungsgericht/11187564.html Türkei Regierung attaktiert Verfassungsgericht von Susanne Güsten Der Gesundheitsminister spricht dem höchsten Gericht das Recht ab, gegen vier Ex-Minister zu ermitteln. Der Untersuchungsaussschuss berät heute über eine Anklage gegen die unter Korruptionsverdacht stehenden Politiker. Unsere Korrespondentin aus Istanbul berichtet. Die türkische Regierung will vier unter Korruptionsverdacht stehende Ex-Minister vor einem Prozess vor dem Verfassungsgericht schützen. Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoglu warf dem höchsten Gericht am Montag regierungsfeindliche Tendenzen vor. Man werde die Ex-Minister nicht dem Verfassungsgericht ausliefern, sagte Müezzinoglu der Zeitung „Habertürk“. Statt dessen werde sich die AKP den mutmaßlichen Korruptionsfällen intern widmen – damit sprach Müezzinoglu der Justiz das Recht ab, Bestechlichkeit in Regierungsreihen zu untersuchen. Erdogan-treue Medien warfen dem Verfassungsgericht ebenfalls vor, gegen die Regierung zu agitieren. Sie erinnerten daran, dass das Verfassungsgericht die von Präsident Recep Tayyip Erdogan im vergangenen Jahr verfügte Twitter-Sperre wieder aufgehoben hatte. Eine Gefahr für Erdogan In Ankara trat unterdessen
ein Untersuchungsausschuss des Parlaments zusammen, um über das Schicksal
der vier Politiker zu entscheiden; eine Beschlussempfehlung des Ausschusses
an das Parlamentsplenum wurde am Abend erwartet. Ein Korruptionsprozess
könnte Erdogan und seiner Partei AKP politisch schwer schaden. Regierung wittert Komplott Erdogan und die Regierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sehen die Korruptionsvorwürfe als Teil einer Verschwörung der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Nun wird selbst das Verfassungsgericht diesem Komplott zugerechnet, obwohl die meisten Richter in den vergangenen Jahren von der AKP selbst ernannt worden waren. Eine Anklage gegen die Ex-Minister durch das Parlament würde die Regierungsthese von einer groß angelegten Verschwörung ins Wanken bringen. Erdogan forderte deshalb vom Untersuchungsausschuss einen Freispruch für die Ex-Minister, wie türkische Medien berichteten. Da es unter den AKP-Mitgliedern im Ausschuss aber Widerstand dagegen gab, wurde die ursprünglich für den 22. Dezember geplante Abstimmung auf Montag verschoben. Im Ausschuss hat die AKP die Mehrheit; für eine Entscheidung zur Anklage der Minister brauchen die Oppositionsabgeordneten in dem Gremium die Unterstützung von mindestens drei AKP-Kollegen. Doch selbst wenn der Untersuchungsausschuss empfehlen sollte, auf einen Prozess gegen die Politiker zu verzichten, kann sich das Plenum in geheimer Abstimmung in den kommenden Wochen darüber hinweg setzen. Kurz vor der Parlamentswahl im Juni könnte das Korruptionsthema für die AKP damit zu einem politischen Klotz am Bein werden. Ein Flugzeug für 58 Millionen Für einen Teil der Öffentlichkeit steht ohnehin fest, dass es erhebliche Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Während der Ausschuss am Montag über das Schicksal der Ex-Minister beriet, wurde bekannt, dass eine Firma des Geschäftsmanns Zarrab ein neues Flugzeug für 58 Millionen Dollar gekauft hat – dasselbe Unternehmen musste laut Oppositionsangaben zuletzt keinerlei Steuern zahlen.
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