Neues Deutschland, 06.01.2015

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43779/1.htmlhttp://www.neues-deutschland.de/artikel/957458.wachabloesung-bei-syriens-opposition.html

Von Karin Leukefeld

Wachablösung bei Syriens Opposition

Im Istanbuler Exil bestimmte eine zerstrittene Koalition einen Arzt zu ihrem neuen Sprecher
Die vom Westen unterstützte syrische Opposition hat den Arzt Chaled Chudscha zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. In einer Abstimmung in Istanbul erhielt er am Sonntag eine knappe Mehrheit.

Die oppositionelle »Nationale Koalition für die syrischen revolutionären und oppositionellen Kräfte« (Etilaf) mit Sitz in Istanbul hat sich einen neuen Präsidenten gewählt. Das 111 Mitglieder umfassende Gremium, das 2012 als Nachfolgeorganisation des Syrischen Nationalrates aus der Taufe gehoben worden war, wählte auf seiner 18. Generalversammlung Chaled Chudscha zum neuen Präsidenten. Chudscha konnte 56 von 106 abgegebenen Stimmen erreichen. Er steht der türkischen Regierungspartei AKP nahe, eine Schwesterpartei der Muslimbruderschaft, die in Syrien bei Todesstrafe verboten ist.

Der 49-jährige Chudscha stammt aus Damaskus und lebt seit 29 Jahren in der Türkei. Seit Gründung der Nationalen Koalition hatte Chudscha die »türkischen Syrer« in dem Gremium vertreten. Im Januar 2012 hatte er der Istanbuler Zeitung »Hürriyet« die massenhafte Flucht von Soldaten und Offizieren aus der syrischen Armee prognostiziert, die aber weitgehend ausgeblieben ist.

Der Posten des Etilaf-Präsidenten hat sich zwischen den immer weiter auseinander driftenden Lagern von Etilaf mittlerweile zu einem Schleudersitz entwickelt. Kein Präsident hielt sich länger als zwölf Monate. Der Posten des Vizepräsidenten ist einem kurdisch-syrischen Vertreter vorbehalten. Weil der kurdische Block innerhalb von Etilaf aber keinen Kandidaten benannt hatte, bleibt dessen Platz vakant.

Jenseits der Wahlen standen auch die Finanzen von Etilaf auf der Tagesordnung. Diskutiert wurde zudem über die humanitäre Hilfe, die Etilaf über die ACU (Assistance Coordination Unit) in enger Abstimmung mit den USA für Gebiete in Syrien verteilt, die unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Milizen stehen. Auch über den vom UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, eingebrachten Plan für einen Waffenstillstand in Aleppo wurde gesprochen. Auf der Tagesordnung stand zudem die russische Initiative für einen innersyrischen Dialog Ende des Monats in Moskau. Diese wurde von Chudscha abgelehnt mit der Begründung, nicht das Koalitionsbündnis, sondern nur einzelne Vertreter der Opposition seien nach Moskau eingeladen worden.

Tatsächlich ist Etilaf hinsichtlich dieser Initiative gespalten und hatte sich in den letzten Wochen mit ihren Sponsoren in Katar und Saudi-Arabien abgestimmt. Eine Etilaf-Delegation war zudem nach Kairo gefahren, um die Sicht der ägyptischen Regierung zu hören, die die russische Gesprächsinitiative unterstützt. Auf Einladung des Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel in Syrien ist für Mitte Januar in Kairo ein Treffen der syrischen Opposition geplant, bei dem man sich für die Gespräche in Moskau abstimmen will. Prominentester Vertreter der Nationalen Koalition, der sich zu dem Dialog in Moskau bereit erklärt hat, ist der ehemalige Etilaf-Präsident Mouaz al-Khatib. Etilaf ist die von den selbst ernannten »Freunden Syriens« (USA, Westeuropa und Golfstaaten) auserkorene »legitime Vertretung des syrischen Volkes« und wird entsprechend unterstützt.

Der bisherige Präsident Hadi al-Bahra hatte kurz vor Weihnachten dem EU-Außenministertreffen in Brüssel einen »umfassenden Aktionsplan« vorgestellt, mit dem Etilaf - mit Unterstützung der »internationalen Gemeinschaft« - »extremistische Gruppen« besiegen und »die Wurzel des Extremismus, das Assad-Regime, beseitigen« will. Eine Zusammenarbeit mit de Mistura sei nur möglich, wenn die syrische Führung die Initiative nicht zu militärischen Vorteilen nutzen könne. Bahri hatte sich zudem für die EU-Sanktionen gegen Syrien bedankt und deren Erweiterung gefordert, damit weder finanzielle noch militärische Hilfe von Russland, Iran und der Hisbollah nach Damaskus gelangen könne.

Die EU-Kommission hatte vor Weihnachten die Gründung eines »regionalen EU-Fonds« bekannt gegeben, der Staaten helfen soll, die viele syrische Flüchtlinge aufgenommen haben. Namentlich genannt werden Libanon, Jordanien, die Türkei, Irak und Ägypten. Die EU-Kommission reagierte damit auch auf einen UN-Aufruf, Staaten zu helfen, deren Stabilität durch den Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien gefährdet sein könnte. Das UN-Koordinationsbüro für humanitäre Hilfe hat für 2015 zu Spenden in Höhe von 2,9 Milliarden Dollar aufgerufen, um allein in Syrien zwölf Millionen Inlandsvertriebenen zu helfen.

Besonders prekär ist die Lage in Libanon, wo auf rund vier Millionen Einwohner etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien kommen. Um den Zustrom zu stoppen, hat Libanon nun eine Visumpflicht für Syrer eingeführt. Der libanesische Innenminister Nouhad Machnouk verteidigte die umstrittene Maßnahme am Montag auf einer Pressekonferenz. Es seien »genug Syrer im Land, Libanon ist nicht in der Lage noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen«.