Die Presse, 07.01.2015

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Das unersättliche Machtstreben des türkischen Präsidenten

Recep Tayyip Erdoğan verfolgt weiter seine ehrgeizigen Pläne – gerät aber auch immer mehr ins Wanken.

von unserer Korrespondentin Susanne Güsten (Die Presse)

Istanbul. Für Recep Tayyip Erdoğan war 2014 ein erfolgreiches Jahr: Er hat die Kommunal- und die Präsidentschaftswahlen gewonnen, er hat die juristische Untersuchung von Korruptionsvorwürfen erfolgreich unterdrückt – und er hat seine Gegner in der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen durch Festnahmen und Säuberungen im Staatsapparat in die Defensive gedrängt. Auch für das neue Jahr hat er ehrgeizige Pläne, wiewohl es schwierig für ihn werden könnte.

Anhänger des 60-jährigen Erdoğan sehen in ihrem Präsidenten eine Art Lichtgestalt, seine Berater singen Loblieder auf seine Führungsstärke. Seine Gegner hingegen verdammen ihn als Autokraten mit immer stärkeren diktatorischen Tendenzen. Erdoğan tut nichts, um diesen Vorwurf zu entkräften – im Gegenteil. Am Montag wurden erneut knapp drei Dutzend Polizisten verhaftet, die einen Lauschangriff auf die regierende AKP gestartet haben sollen. Die Aktion ist die Fortsetzung des Kampfes gegen seinen Widersacher Gülen. Erdoğan wirft ihm vor, einen Parallelstaat errichten zu wollen. Gleichzeitig können vier Ex-Minister der AKP, die wegen Bestechungsvorwürfen abgesetzt worden waren, aufatmen: Der Parlamentsausschuss stimmte dagegen, dass gegen sie ermittelt werden soll. Im vergangenen Jahr wurden regierungsnahe Politiker, die der Korruption verdächtigt wurden, ebenfalls verschont.


Präsident soll Kabinettssitzung leiten

Wie in seiner vorherigen Rolle als Ministerpräsident treibt Erdoğan die Polarisierung der Gesellschaft voran, um die islamisch-konservativen Wähler um seine Partei AKP zu scharen. Diese Taktik hat ihm viele Wahlsiege eingebracht. In wenigen Monaten soll das noch einmal funktionieren: Die AKP strebt bei den Parlamentswahlen im Juni mehr als 50 Prozent der Stimmen an. Mit einer ausgebauten Parlamentsmehrheit will Erdoğan anschließend per Volksabstimmung eine Verfassungsänderung durchsetzen, die dem Präsidentenamt mehr Macht einräumt. Damit soll die Vormachtstellung islamisch-konservativer Kräfte auf Dauer zementiert werden.

Schon ab Mitte Jänner will Erdoğan als Präsident die wöchentlichen Sitzungen des Kabinetts leiten. Teile der Justiz, der Polizei, der Wirtschaft und der Medien sind ihm treu ergeben. Die Opposition in Ankara ist zu schwach, um die AKP-Regierung zu kontrollieren. Lediglich das Verfassungsgericht und andere hohe Gerichte sowie die Zentralbank haben in den vergangenen Monaten mit ihren Entscheidungen gezeigt, dass sie nicht ohne Weiteres vor Erdoğan einknicken.

Der Präsident reagiert auf solche Auflehnung mit Verärgerung. In seiner „Neuen Türkei“ versteht die Führung des Staates selbst harmlose Kritik immer häufiger als Majestätsbeleidigung und Putschversuch. Erdoğans schroffe Reaktion auf die Kritik der EU an den jüngsten Festnahmen von Journalisten verdeutlicht zudem, dass sich der Präsident auch von den Europäern ungerecht behandelt fühlt. Am Dienstag kritisierte Erdoğan zudem eine wachsende Islamfeindlichkeit in Europa und warf den jeweiligen Ländern Untätigkeit vor.


Der Wirtschaftsboom ist vorbei

Mitten in diesem aufgeladenen politischen Klima muss die Türkei im neuen Jahr mit schwierigen Rahmenbedingungen zurechtkommen. Der Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre ist vorbei, das Wachstum geht zurück, die Arbeitslosigkeit steigt. Bei den Bemühungen um eine Beendigung des Kurdenkonflikts fordern die PKK-Rebellen eine Lösung noch vor den Wahlen im Sommer und drohen mit einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. An den Südgrenzen der Türkei wächst die Bedrohung durch den Islamischen Staat.

Einige Meinungsumfragen legen nahe, dass die AKP an Rückhalt verliert. Die Korruptionsaffäre der vergangenen Monate hat auch in der Erdoğan-Partei ihre Spuren hinterlassen, es gibt Unmut über den Versuch des Präsidenten, alle Berichte über Unregelmäßigkeiten als bösartige Propaganda abzutun. Sollte die AKP bei den Parlamentswahlen ihr hochgestecktes Ziel verfehlen, müsste Erdoğan als Präsident möglicherweise mit einer Koalitionsregierung aus den bisherigen Oppositionsparteien zurechtkommen. Das Jahr 2015 könnte für die Türkei sehr turbulent werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2015)