junge Welt, 07.01.2015

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AKP erteilt sich selber Absolution

Türkei: Parlamentarischer Untersuchungsausschuss stellt ehemaligen Ministern Persilschein aus – Erdoğan warnte vor Putschversuch

Von Nick Brauns

Vier aufgrund von Korruptionsvorwürfen vor rund einem Jahr von ihren Ämtern zurückgetretene türkische Minister sollen sich nicht vor Gericht verantworten müssen. Diese Entscheidung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses wurde am Montag abend bekannt gegeben. Exinnenminister Muammer Güler, Exbauminister Erdoğan Bayraktar, Exwirtschaftsminister Mehmet Zafer Çağlayan und Ex-EU-Minister Egemen Bağış waren im Dezember 2013 von Istanbuler Staatsanwälten im Zusammenhang mit einem Korruptionsermittlungsverfahren gegen führende Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP genannt worden. Sie sollen dem iranischen Geschäftsmann Reza Zarrab für Goldgeschäfte mit dem Iran politische Unterstützung bei der Geldwäsche gegeben und dafür gemeinsam mit ihren Söhnen 66 Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern kassiert sowie bei der Vergabe von Bauaufträgen betrogen haben.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, dessen Sohn ebenfalls in die Korruptionsaffäre verwickelt ist, hatte das Ermittlungsverfahren als Putschversuch der im Polizei- und Justizapparat verankerten Bewegung des Predigers Fethullah Gülen bezeichnet. Die der Gülen-Bewegung zugerechneten Staatsanwälte wurden abgezogen und das Verfahren durch Erdoğan-getreue Juristen niedergeschlagen. Statt dessen wird inzwischen gegen Dutzende als Gülen-Anhänger geltende Polizeioffiziere und Journalisten wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Auch am Montag wurden bei Razzien wieder 36 als Gülen-Anhänger eingestufte Polizeibeamte festgenommen, weil sie Lauschangriffe auf Politiker, Staatsbedienstete und Unternehmer gestartet haben sollen.

Ein dem Untersuchungsausschuss vorgelegter Bericht der Abteilung für Kriminalitätsbekämpfung des Finanzministeriums stellte bei drei der Exminister einen starken Anstieg ihres Vermögens fest. Erdoğan hatte den Ausschuss aufgefordert, im Interesse der Staatsräson die ehemaligen Kabinettsmitglieder zu entlasten. Eine Überstellung der Beschuldigten an den Obersten Gerichtshof käme der »Schlussphase eines Putschversuches« durch den »Parallelstaat« der Gülen-Bewegung gleich, hieß es in regierungsnahen Zeitungen, die in dem Gericht ein Refugium von Gülen-Anhängern vermuten. Die Entscheidung, den Ministern einen Persilschein auszustellen, wurde mit den Stimmen aller neun AKP-Obleute im Ausschuss gegen das Minderheitenvotum von fünf Oppositionsvertretern getroffen.

Der Vertreter der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP) hatte sich bereits vorher aus Protest über einen Beschluss, die Vernehmungsprotokolle geheim zu halten, aus dem Ausschuss zurückgezogen. Nach Angaben eines Oppositionsobmannes habe die AKP-Mehrheit zudem entschieden, als Beweismaterial vorgelegte geheime Telefonmitschnitte der Minister zu vernichten. »Wir werden Zeugen einer Operation zur Verschleierung des größten Korruptionsskandals der Türkei«, kommentierte der Vizefraktionsvorsitzende der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP), Levent Gök, das Vorgehen.

Die abschließende Entscheidung über das Schicksal der Exminister liegt in den kommenden Wochen beim Parlament, in dem die AKP zwar eine satte Mehrheit hat. Doch in ihren Reihen werden noch Gülen-Anhänger vermutet. So richtet sich die Hoffnung der Opposition darauf, mindestens 52 Abgeordnete der Regierungsfraktion in der geheimen Abstimmung umzustimmen. »Dann werden wir sehen, ob die AKP-Abgeordneten den Weisungen ihrer Parteiführung oder ihrem Gewissen folgen«, erklärte der CHP-Abgeordnete Gök.