junge Welt, 07.01.2015

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Quo vadis PKK?

Debattenbeitrag: Bringt Öcalan die deutsche Solidaritätsbewegung in Bedrängnis?

Von Petra Scharrelmann

Die nächsten kurdischen Demonstrationen dürften interessant werden. Wenn schon auf denen für Kobani in den letzten Monaten so gut wie keine antiamerikanischen Slogans (bzw. laute Kritik an der US-Regierung, Anm. d. Red.) zu hören waren, so müssen nun auch, zumindest wenn es nach dem Willen des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) geht, auch alle Aussagen, die Kritik an der türkischen AKP-Regierung beinhalten, aus dem Katalog der Demosprüche verbannt werden. Denn nach dem letzten Besuch auf der Insel Imrali, wo Abdullah Öcalan seit 14 Jahren inhaftiert ist, wurde verlautbart, dass man sich in den nächsten vier bis fünf Monaten auf einen Friedensplan mit der Türkei einigen wolle.

Für die kurdische Bewegung mag ein erneuter Kurswechsel möglich sein; sie hat, seit Abdullah Öcalan den Friedensprozess eingeleitet hat, schon einige Kehrtwendungen vollzogen. Wie aber sieht es bei der im vergangenen Jahr stark angewachsenen deutschen Solidaritätsbewegung aus?Viele der jungen Unterstützer stammen aus der Antifa. Sie sind fasziniert vom Kampf der Kurdinnen gegen patriarchale Strukturen im Mittleren Osten und den faschistoiden Staat Türkei. Für sie stellen die in Rojava proklamierten antistaatlichen und selbstorganisierten Strukturen ein Gegenmodell zu den herrschenden Nationalstaaten dar. Für den Kampf dort wird in der Linken seit Monaten Geld für Waffen und Hilfsgüter gesammelt. Jetzt werden die begeisterten Unterstützer begreifen müssen, dass der von ihnen so hochgepriesene Freiheitskampf voraussichtlich einen ganz anderen Charakter annehmen wird, denn die Türkei wird kein antikapitalistisches Modell, und als ein solches versteht sich Rojava, vor ihrer eigenen Tür fördern wollen, sondern versuchen, durch Zugeständnisse die kurdische Bewegung, sowohl im eigenen Land als auch in Syrien, zu kontrollieren, auch um letztere als Verbündete im Kampf gegen Assad zu gewinnen. Geht es nach dem Willen der Türkei, soll sich Rojava ähnlich entwickeln wie die kurdische Autonomiezone im Norden des Irak, zu der es schon seit Jahren hervorragende Beziehungen gibt. Der Anfang ist gemacht. Bereits jetzt kämpfen in Kobani nicht nur Angehörige der aus der PKK hervorgegangenen Volksbefreiungseinheiten, sondern auch Milizionäre Barzanis (des irakisch-kurdischen Regionalpräsidenten, Anm. d. Red.) sowie Kämpfer der Freien Syrischen Armee. Barzanis Anhängern wurde inzwischen auch verziehen, dass sie es waren, die vor gerade einmal fünf Monaten das Massaker an der jezidischen Bevölkerung in der Region Schengal im Irak möglich gemacht haben, indem sie die Jeziden vor den herannahenden Truppen des IS (Islamischer Staat) nicht nur nicht geschützt, sondern die Jeziden auch noch entwaffnet haben. Im Rahmen der nationalen Verbrüderung wird Barzanis momentane Unterstützung des Kampfs um Kobani dankbar angenommen. Ganz offensichtlich ist die PKK bereit, sich mit sämtlichen reaktionären und nationalistischen Kräften in der Region zu arrangieren. Die spannende Frage bleibt, wie sie das ihren Bündnispartnern in Deutschland verkaufen will. Denn gerade in einem Moment, in dem die Chancen für die Aufhebung des seit 1993 in Deutschland bestehenden PKK-Verbots so gut wie nie sind, kann es sich die PKK nicht leisten, die Solidarität der Linken zu verlieren. Zur Zeit sieht es noch so aus, als würde die Solidaritätsbewegung den Kurs Öcalans ignorieren, sollte allerdings sein Vorstoß in der Türkei erfolgreich sein, wird die deutsche Solidaritätsszene gezwungen sein, Stellung zu beziehen. Die nächsten Monate werden sicherlich interessante Entwicklungen mit sich bringen.