Die Presse, 08.01.2015 „Wir verteidigen auch die Europäer gegen den Terror“ Der Chef der syrischen Kurden, Salih Muslim, über den Kampf gegen die Jihadisten des IS und den Anschlag in Paris. von WIELAND SCHNEIDER (Die Presse) Die Presse: Wie sieht derzeit die Lage in der Stadt Kobane aus, die lange von den Truppen des sogenannten Islamischen Staates IS umzingelt gewesen ist? Salih Muslim: Es wird nach wie vor gekämpft. IS hat zuletzt Nachschub aus dem Raum Raqqa herangeschafft. In der Nacht von Sonntag auf Montag haben sie einen erneuten Angriff gestartet, und es gab heftige Gefechte mit unseren kurdischen Kräften. Etwa 60 IS-Männer wurden dabei getötet und auch neun unserer Leute kamen ums Leben. Aber wir haben die Lage unter Kontrolle. IS steht jetzt nur mehr im Osten der Stadt. Die Terroristen besetzen nur noch weniger als 20 Prozent von Kobane. Aber unsere YPG-Volksverteidigungseinheiten rücken vor.
Ja. In Kobane kämpft derzeit die YPG gemeinsam mit etwa 160 Peschmerga und säkularen Kräften der Freien Syrischen Armee (FSA) gegen IS. Die Gefechte auf dem Boden werden mit den Luftangriffen der US-geführten Allianz koordiniert.
Wir haben unterschiedliche Ideologien und denken anders über verschiedene politische Dinge. Aber gegen IS müssen alle zusammenhalten. Denn die Jihadisten sind eine Bedrohung für alle Staaten. Wir im Nahen Osten stehen an der Frontlinie in diesem Kampf, aber wir verteidigen dabei auch die Europäer. Terrorismus – so wie auch jetzt beim Anschlag auf die Satirezeitung in Paris – kann nur global bekämpft werden. Alle müssen dabei an einem Strang ziehen. Ich habe deshalb auch ein offizielles Statement abgegeben, in dem ich das Attentat in Paris verurteilt habe.
Das ist nur eine Ausrede. Es gibt bereits eine Koordination zwischen der Anti-IS-Allianz und unseren Kräften beim Kampf gegen IS in Kobane. Wenn der Westen wirklich effektiv gegen die Jihadisten vorgehen will, muss er die YPG aber auch offiziell als Partner in der Anti-IS-Allianz akzeptieren. Und wir brauchen auch ordentliche Waffen. Wir haben von Anfang an gesagt, dass Luftschläge gegen die IS-Terroristen nicht ausreichen. Wenn wir etwa moderne Panzerabwehrwaffen bekommen würden, wären die Luftangriffe vielleicht gar nicht mehr nötig.
Die Position der Türkei ist weiter unklar: Es gibt noch immer Berichte, dass Jihadisten über die Türkei in den Raum Kobane einsickern. Und die türkische Regierung weigert sich nach wie vor, an der internationalen Anti-IS-Koalition teilzunehmen.
Das Terrorismusproblem ist nicht nur eine Sache einer bestimmten Gruppe. Es ist das Problem einer Geisteshaltung. Al-Nusra oder ähnliche Gruppen verfolgen letzten Endes dieselbe Ideologie wie IS und verüben ähnliche Verbrechen.
Er weiß aber auch ganz genau, dass wir uns seit 2004 in einer Konfrontation mit diesem Regime befinden. Wir kooperieren nicht mit dem Assad-Regime. Ja, es gibt in Qamishli im Osten eine Präsenz von Regimeeinheiten – und zwar, weil dort einige arabische Stämme auf Seiten Assads stehen. Wir akzeptieren das, weil wir eine direkte Konfrontation verhindern wollen: Wir wollen keinen Krieg Kurden gegen Araber. Die Regimeeinheiten in Qamishli machen keine Probleme und mischen sich nicht in unsere Angelegenheiten ein.
Wir sind bereit, mit den säkularen und moderaten Kräften in der FSA zusammenzuarbeiten. Wir tun ja das bereits in Kobane. Diese Kräfte sind jederzeit willkommen. Wir können das gemeinsam, unter der Flagge der YPG und dieser FSA-Gruppen, tun. Die müssen aber das Verwaltungssystem akzeptieren, das wir in Rojava (syrische Kurdengebiete) aufgebaut haben.
Unsere Leute versuchen, so gut es geht zu helfen. Aber jetzt im Winter ist die Lage sehr schwierig geworden. Das betrifft die Flüchtlinge im Newroz-Camp, aber auch die Zivilisten aus Kobane und die vielen Yeziden, die im Sinjar-Gebirge ausharren. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2015)
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