taz, 09.01.2015

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2015%2F01%2F09%2Fa0170&cHash=af33bdeb2a4be96a0e195ba25c70f752

JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER DIE REAKTIONEN IN DER TÜRKEI

Provokation gegen Muslime

Der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris ist in der Türkei mit einer großen Aufmerksamkeit verfolgt und vielfältig kommentiert worden.

Während Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit einem Tag Verspätung am Donnerstag schriftlich und ganz diplomatisch dem "befreundeten" französischen Volk sein Beileid aussprach, versuchen etliche Zeitungen im Umfeld der regierenden AKP den Mord an den französischen Journalisten in ein Komplott gegen die Muslime umzudeuten.

So titelt das regierungsnahe Blatt Star: "Schmutziges Spiel in Frankreich - Die kaltblütigen Morde sollen dem Islam in die Schuhe geschoben werden". Das islamische Hetzblatt Akit schrieb gestern: "Gezielte Provokation. Erst wurden die Muslime beleidigt und jetzt werden sie als Mörder beschuldigt".

Am deutlichsten ist die der islamischen Erbakan-Bewegung nahestehende Milli Gazete. Paris wird als "Hauptstadt der Finsternis" bezeichnet, wo lange die armenische Terrororganisation Asala zu Hause war: "Jetzt werden 12 Leute in einem Haus erschossen, das von der Polizei bewacht wird. In einer Zeit, wo in Europa die Moscheen brennen, soll man glauben, dass Muslime dort einfach hineinspazieren konnten, um Leute zu ermorden. Der Anschlag ist das französische 9/11, nichts anderes als ein Komplott gegen Muslime."

Während Erdogan und auch Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sich staatstragend geben und den Anschlag ohne Wenn und Aber verurteilen, sind andere wichtige AKP-Leute, die nicht im internationalen Fokus stehen, weit weniger eindeutig. So schlug Kultur- und Tourismusminister Ömer Celik in einem Fernsehinterview am Mittwochabend ähnliche Töne an, wie die der AKP nahestehende Presse. Er verurteilte den Angriff zunächst, stellte aber zugleich in Frage, dass wirklich Muslime die Attentäter sind. Wer wie in Paris "Allah u Akbar" ruft und "wir haben den Propheten gerächt" würde doch nur mit dem Finger auf die Muslime zeigen. Selbst wenn sich herausstellt, dass die Attentäter Muslime sind, wer wisse denn, wer die wahren Drahtzieher seien.

Derselben Meinung ist auch der oberste Chef der türkischen Religionsbehörde Dianet, Mehmet Görmez. Der Mann, der noch kürzlich mit dem Papst posierte, sagte gestern: "Der Angriff ist direkt auf den Islam gerichtet. Die offene Verwendung islamischer Symbole ist eine Manipulation."

Ganz anders ist das Bild, das die säkulare Presse abgibt. Hier herrscht echtes Entsetzen und Anteilnahme, man fühlt sich selbst getroffen und fürchtet eine zunehmende Spannung zwischen Europa und den muslimischen Ländern. Viele legten Blumen am französischen Konsulat nieder, Donnerstagabend fand eine Solidaritätskundgebung am Konsulat statt.