spiegel.de, 08.01.2015

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Pressefreiheit in der Türkei: Festnahmen, Verhöre, Einschüchterungen

Von Hasnain Kazim, Istanbul

Die Arbeit für Journalisten wird in der Türkei immer schwieriger - auch für Korrespondenten aus dem Ausland. Staatspräsident Erdogan hält sein Land trotzdem für einen Hort der Pressefreiheit.

Als es am Dienstag um 12.45 Uhr an der Haustür hämmert, wundert sich Frederike Geerdink. Üblicherweise nutzen Gäste die Klingel. Genervt öffnet sie die Tür - und erschrickt: Eine Anti-Terror-Einheit will ihre Wohnung durchsuchen. "Ich war schockiert", sagt Geerdink. "Ich fragte mich: Was geht jetzt ab?"

Geerdink ist eine niederländische Korrespondentin mit Sitz in der überwiegend von Kurden bewohnten Stadt Diyarbakir, im Südosten der Türkei. Sie schreibt für mehrere Zeitungen, darunter für "Het Parool" und den britischen "Independent". Außerdem bloggt sie auf kurdishmatters.com und gilt als Kurdistan-Expertin.

Um 13.33 Uhr setzt Geerdink einen Tweet ab: "Terrorismuspolizei durchsuchte gerade mein Haus, Team von 8 Leuten. Sie nehmen mich jetzt aufs Revier. Vorwurf: Propaganda für Terrororganisation." Eine Dreiviertelstunde haben die Sicherheitskräfte, darunter eine Frau, ihre Wohnung durchwühlt. Mit Terrororganisation war die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gemeint. Geerdink wird vorläufig festgenommen.

Ausgedruckte Facebook-Seite als Beweismittel

Auf dem Revier heißt es, man habe sie nur zum Verhör mitgenommen. "Das dauerte eine halbe Stunde", sagt Geerdink. "Die Polizisten waren sehr freundlich, im Gegensatz zu mir. Ich war sehr verärgert über diese Angelegenheit."

Als Beweismittel legen sie der Journalistin einen Ordner vor. Darin ist unter anderem ein Ausdruck ihrer Facebook-Seite abgeheftet, wo sie Fotos von Jungen mit PKK-Flagge gepostet hatte. "Die hatte ich bei Recherchen an der Grenze zu Syrien getroffen. Diese Fotos als Propaganda zu bezeichnen, ist doch absurd!"

Vor und nach dem Verhör wird Geerdink in ein Krankenhaus gefahren, wo ein Arzt ihren Gesundheitszustand überprüft. "So soll verhindert werden, dass ich behaupten kann, ich sei gefoltert worden", berichtet sie. "Der Arzt hielt vor der Befragung fest, dass ich eine kleine Verletzung an der Hand habe."

Es sind schwierige Zeiten für die freie Presse in der Türkei:

Dutzende Journalisten wurden entlassen, weil sie kritisch über die Regierung berichteten.
Ranghohe Politiker rufen bei Medienkonzernchefs an und verlangen die Entlassung von missliebigen Schreibern.
Anhänger der Regierung starten in sozialen Medien Hetzkampagnen gegen ausländische Berichterstatter.
Das Internetgesetz soll verschärft werden und der Regierung bald das Sperren von Seiten ohne richterlichen Beschluss ermöglichen.

Klagen gegen Karikaturisten

Der Chefredakteur der Tageszeitung "Zaman", Ekrem Dumanli, wurde im Dezember vorübergehend festgenommen, weil ihm "Aufbau und Führung einer Terrororganisation" vorgeworfen werden. Die "Zaman" gehört zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den Präsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt, "parallele staatliche Strukturen" aufbauen und ihn stürzen zu wollen. Tatsächlich war die "Zaman" Vorreiterin der Berichterstattung über illegal mitgeschnittene Telefongespräche, die Erdogan und mehrere Minister als korrupt dastehen ließen. Ein Gericht hat die betroffenen Minister inzwischen von den Korruptionsvorwürfen freigesprochen.

Weil die prominente Journalistin Sedef Kabas gegen die Einstellung der Ermittlungen protestierte, wurde sie Ende Dezember in Gewahrsam genommen. Kabas hatte per Twitter gefordert, den Namen des für die Einstellung des Verfahrens verantwortlichen Staatsanwalts nicht zu vergessen. Ihr wurde daraufhin vorgeworfen, die Arbeit von Anti-Terror-Ermittlern zu behindern. Telefon und Laptop wurden beschlagnahmt, ihre Wohnung durchsucht.

Erdogan sieht die Presse- und Meinungsfreiheit dennoch nicht in Gefahr. Im Gegenteil: "Nirgendwo ist die Presse freier als in der Türkei", sagte er kürzlich. In der Türkei sei es den Medien sogar gestattet, "Beleidigungen, üble Nachrede, Diffamierungen, Rassismus und Volksverhetzung zu begehen". Er habe das schließlich am eigenen Leib erfahren.

In Wahrheit geht Erdogan aber nicht so locker mit Kritik um. Mehrere Karikaturisten wurden von Erdogans Leuten mit Klagen überzogen, weil sie sich über den früheren Premierminister und jetzigen Präsidenten lustig machten. Zuletzt Musa Kart, der in der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" eine Zeichnung veröffentlicht hatte, auf der zwei Räuber beim Leeren eines Tresors zu sehen sind, während Erdogan Wache steht. "Kein Grund zur Eile", sagt der eine Gangster zum anderen grinsend. Das Verfahren gegen Kart läuft noch.

Am Dienstagnachmittag, um 16.30 Uhr, war Frederike Geerdink wieder zu Hause. "Ich hatte bis jetzt gedacht, ausländischen Journalisten würde so etwas nicht passieren", sagt sie. "Als Ausländerin habe ich immerhin das Glück, dass mein Land sich für mich einsetzen kann und dass ich die Türkei jederzeit verlassen kann." Für türkische Kollegen sei die Lage dagegen wirklich ernst. "Sie haben dieses Glück nicht."