Der Tagesspiegel,
12.01.2015
http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-den-anschlaegen-von-paris-davutoglu-aeusserung-ruft-kritik-hervor/11216334.html
Nach den Anschlägen
von Paris
Davutoglu-Äußerung
ruft Kritik hervor
von Albrecht Meier
Der türkische Ministerpräsident
Ahmet Davutoglu erklärt nach den Attentaten von Paris, dass ein Grund
für die Spannungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt in
der Blockadehaltung der EU gegen die Türkei liege. Der CDU-Politiker Ruprecht
Polenz widerspricht: „Jeder soll zunächst vor seiner eigenen Tür kehren",
sagte er dem Tagesspiegel.
Der türkische Ministerpräsident
Ahmet Davutoglu hat mit einer Äußerung über seine Sichtweise des Ursprungs
der Spannungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt Kritik
in Deutschland hervorgerufen. Davutoglu hatte nach seiner Teilnahme am
Gedenkmarsch für die Opfer der Angriffsserie in Frankreich in der Botschaft
Ankaras in der französischen Hauptstadt laut türkischen Medienberichten
gesagt, ohne die Blockadehaltung gegen die Türkei in der EU hätten die
„kulturellen Spannungen“ nicht das heutige Niveau erreicht.
Dies kommentierte
der CDU-Politiker Ruprecht Polenz mit den Worten: „Jeder soll zunächst
vor seiner eigenen Tür kehren.“
Zuvor hatte Davutoglu den Berichten zufolge erklärt, dass mit der Ablehnung
der türkischen EU-Bewerbung in Europa leider Politik betrieben werde.
„Hier liegt die Wurzel des Problems“, fügte er hinzu. Hetze gegen andere
Kulturen rufe Reaktionen hervor: Die Täter von Paris seien nicht in muslimischen
Ländern aufgewachsen, sondern in Frankreich.
„Die Stagnation im Verhandlungsprozess zwischen der EU und der Türkei
beruht auch darauf, dass die Reformanstrengung in Ankara seit einigen
Jahren nahezu zum Erliegen gekommen ist“, sagte Polenz dazu dem Tagesspiegel.
Über die Frage, ob die Türkei reif für den EU-Beitritt sei, werde zunächst
einmal in Ankara entschieden. „Da sind die Defizite in den letzten Jahren
stärker geworden“, fügte Polenz hinzu. Der frühere Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses des Bundestages wies darauf hin, dass die türkische Opposition
wegen einer Islamisierung des Landes besorgt sei. Dies habe zu erheblichen
Spannungen innerhalb der Türkei geführt. Es sei eine „falsche These“,
wenn man allein von kulturellen Unterschieden zwischen der Türkei und
der EU spreche. „Offensichtlich verläuft die Schnittlinie auch innerhalb
der Türkei“, sagte er. Richtig sei an Davutoglus allerdings, dass von
EU-Seite immer wieder klar gemacht werden müsse, „dass der europäische
Gedanke auf der Aufklärung und den Werten der französischen Revolution
beruht und dass die EU selbstverständlich offen ist für alle, die diese
Werte teilen, unabhängig von der kulturellen und religiösen Prägung eines
Landes“.
Der türkische Regierungschef äußerte sich vor einem Treffen mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) in Berlin. Bei dem Treffen will Davutoglu laut türkischen
Zeitungsberichten die Bundeskanzlerin zu verstärkten Maßnahmen gegen die
nach türkischer Einschätzung wachsende Islamfeindlichkeit in Deutschland
und anderen europäischen Ländern aufrufen. Türkische Regierungspolitiker
hatten sich in jüngster Zeit unter anderem besorgt über die Erfolge der
islamfeindlichen „Pegida“-Bewegung gezeigt. (mit AFP)
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