junge Welt, 15.01.2015

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»Hier spielen sich Brandstifter als Feuerwehr auf«

Der Irak-Einsatz der Bundeswehr ist am heutigen Donnerstag Thema im Bundestag. Ein Gespräch mit Alexander Neu

Interview: Peter Wolter

Dr. Alexander Soranto Neu, Abgeordneter der Partei Die Linke, ist Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

Der Bundestag debattiert am Donnerstag über die Entsendung der Bundeswehr in den Irak zwecks Ausbildungshilfe für die Kurden. Dass sie Hilfe im Kampf gegen die Terrorgruppen des Islamischen Staats (IS) brauchen, ist unbestritten – aber warum ist Ihre Fraktion dagegen, dass sich Deutschland daran beteiligt?

Deutschland beteiligt sich zunehmend an Konflikten unter der Überschrift »Konfliktmeidung« oder »Konfliktmanagement«. An diesen Kriegen sind aber die westlichen Staaten, insbesondere unsere Verbündeten, in erheblichem Maße mitschuldig. Hier spielen sich jetzt Leute als Feuerwehr auf, die den Brand selbst gelegt haben! Letztlich geht es um Einflusszonen, man braucht sich nur den Irak anzuschauen.

Was sagt denn die Verfassung dazu?

Da wird es schwierig. Die Bundeswehr darf laut Artikel 24 Grundgesetz nur im Rahmen eines »Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit« in einen Auslandseinsatz geschickt werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)hat zwar 1994 festgestellt, das treffe auch auf einen Einsatz im Rahmen der NATO zu. Diese Entscheidung halte ich für falsch. Das BVerfG hat seinerzeit der Bundesregierung ein Gefälligkeitsurteil geliefert. Die NATO ist aber kein »Sicherheitskollektiv«; sondern war ein Verteidigungskollektiv und ist seit den frühen 90er Jahren ein Interventionsbündnis und somit genau das konzeptionelle Gegenteil eines »Sicherheitskollektivs«. Die UNO hingegen ist ein solches, wenn auch unvollkommen. Im Fall der Irak-Aktion bezieht sich die Regierung aber weder auf NATO noch UN, sondern erwähnt lediglich den Artikel 24. Das ist verfassungsrechtlich nicht tragfähig – eine adhoc-Koalition ist kein »Sicherheitskollektiv«.

Wie geht Ihre Fraktion mit diesem mutmaßlichen Bruch des Grundgesetzes um?

Wir wollen aus politischen Gründen nicht dagegen klagen. Die SPD würde uns gerne vorschicken, denn sie will den Einsatz gerne auf verfassungsrechtlich sauberen Terrain. Wir werden doch nicht für die SPD die Kohlen aus dem Feuer holen. Sie hatte diesen Weg schon mal 1994 eingeschlagen. Es ging damals um Bundeswehreinsätze zur Seeraumüberwachung der jugoslawischen Adria – das war aber nicht der Hauptgrund für die SPD. Ihr ging es um die Feststellung, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr erlaubt sind. Das BVerfG würde, so meine Prophezeiung, genau so wieder entscheiden wie 1994, also das Grundgesetz im Sinne der Bundesregierung neu interpretieren. Davon abgesehen können wir auch nicht klagen, da für die Organklage die Mitbestimmungsrechte des Parlamentes beschnitten sein müssten. Dass ist aber nicht der Fall. Eine andere Möglichkeit wäre eine Normenkontrollklage beim BVerfG, dafür bekommen wir im Bundestag aber nicht die nötigen 25 Prozent der Stimmen zusammen.

Ihre Fraktion ist dagegen, Ihr Fraktionschef Gregor Gysi hat aber so etwas wie einen Kompromiss angeboten: Irakisch-kurdische Kämpfer, so meint er, könnten ja auch in Deutschland ausgebildet werden.

Wir sollten die Diskussion nicht auf die irakischen Kurden reduzieren. Auch die Kurden aus Syrien und der Türkei müssen unterstützt werden, dazu müsste die Regierung erst einmal das Verbot der PKK aufheben. Wenn man die alle militärische ausbildet, hätte das auch eine strategische Stoßkraft. Das heißt aber nicht, dass wir als Linke dem auch zustimmen sollten, auch wenn die Bundesregierung damit ihre eigene Glaubwürdigkeit steigert.

Sie sind also auch gegen die von Gysi vorgeschlagene Lösung?

Ja. Aber der Vorschlag von Gysi ist selbst nur eine Provokation in Richtung Bundesregierung, um deren widersprüchliche Position bloßzustellen.

Kurz zu den Mitbestimmungsrechten des Parlaments. Kann die Entscheidung, deutsches Militärpersonal in ein Krisengebiet zu schicken, einfach so durchgewinkt werden? Was sagt das Grundgesetz dazu?

Die Regierung hat nun mal im Bundestag eine Riesenmehrheit, mit der sie vieles machen kann. Unsere Fraktion ist leider zu klein, wir können ja nicht einmal eine Normenkontrollklage einreichen. Wir können leider nur im Parlament unsere Argumente vortragen und dagegen stimmen. Die Bundesregierung bewegt sich zwar in einem verfassungsrechtlichen Graubereich, wir haben dagegen aber keine juristische Handhabe.