welt.de, 15.01.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article136403370/Davutoglu-will-die-Ehre-des-Propheten-verteidigen.html

Mohammed-Karikaturen

Davutoglu will die Ehre des Propheten verteidigen

Der türkische Premier lässt den Abdruck von "Charlie Hebdo"-Karikaturen verbieten. Israels Regierungschef Netanjahu nennt er in einem Atemzug mit den Pariser Terroristen. Chronik einer Eskalation. Von Boris Kálnoky

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu (Link: http://www.welt.de/136303613) hat mit wütend klingenden Äußerungen die Pariser Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" scharf attackiert – mit Worten, die jenen vieler terroristischer Drohungen gegen das Magazin ähnelten. Mit atemberaubender geistiger Akrobatik verglich er zudem die islamistischen und antisemitischen Terroristen, die die Redaktion vor einer Woche massakriert und einen jüdischen Supermarkt überfallen hatten, mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (Link: http://www.welt.de/themen/benjamin-netanjahu/) .

Die "Charlie Hebdo"-Karikaturen, die den Propheten Mohammed abbildeten, einschließlich der Titelseite der jüngsten, weltweit in Millionenauflage verbreiteten Auflage der Satirezeitschrift, seien "eine schwerwiegende Provokation", sagte Davutoglu. Pressefreiheit bedeute nicht "das Recht, die Überzeugungen anderer Menschen zu beleidigen".

Sehr viele Türken, so sagte Davutoglu mit offenkundiger Sympathie, seien "entschlossen, die Ehre des Propheten zu verteidigen", der als "Gnade für die Menschheit entsandt wurde". Die Ehre des Propheten verteidigen: Das waren fast die genauen Worte der Pariser Attentäter.

Die Türkei werde im eigenen Land "nicht zulassen, dass der Prophet beleidigt wird", sagte Davutoglu. Den türkischen Medien sei das unmissverständlich klargemacht worden.

Ein Gewaltausbruch fanatischer Islamisten schien unvermeidlich

Seine Äußerungen betrafen den Versuch der Zeitung "Cumhuriyet (Link: http://www.cumhuriyet.com.tr/#) " und einiger Websites, die Titelseite der neuen "Charlie Hebdo"-Ausgabe zu veröffentlichen. Die Druckerei von "Cumhuriyet" wurde deswegen von einem starken Polizeiaufgebot durchsucht, die Zeitung hatte aber bereits im Vorfeld auf den Abdruck der Zeichnung verzichtet, die einen weinenden Mohammed zeigt. Die betroffenen Websites wurden per Gerichtsbeschluss von den Behörden blockiert.

Die Haltung der Regierung ist rein pragmatisch teilweise nachvollziehbar: Es hatte massive Drohungen, auch Androhungen von Gewalt gegen "Cumhuriyet" gegeben; ein Gewaltausbruch fanatischer Islamisten schien im Falle eines Abdrucks der "Charlie Hebdo"-Titelseite (Link: http://www.welt.de/136343191) unvermeidlich.

Noch vor wenigen Jahren wären gewalttätige Reaktionen auf Karikaturen in der Türkei freilich weniger wahrscheinlich gewesen. Die Regierungspartei AKP selbst hat dazu beigetragen, fundamentalistische islamische Strömungen im Land zu stärken, zudem kamen viele der Drohungen gegen die "Cumhuriyet"-Journalisten von AKP-nahen Accounts in den sozialen Netzwerken oder gar von AKP-Akteuren selbst.

Davutoglu griff auch den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu scharf an und unterstellte ihm, er sei im Grunde ebenso ein Terrorist wie die Attentäter von Paris: "Netanjahu hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt", sagte Davutoglu, "genau wie die Angreifer von Paris" – die er freilich bei dieser Gelegenheit gar nicht Terroristen nannte, sondern nur "Angreifer". Davutoglus muslimische Zuhörer können das auch so verstehen, dass es "Angreifer" waren, die "die Ehre des Propheten verteidigten", was in ihren Augen unter Umständen ganz legitim wäre.

In früheren Äußerungen hatte Davutoglu bereits "Islamophobie" für die Terrorangriffe in Paris verantwortlich gemacht. Nach dieser Lesart ist Mord eine verständliche Reaktion auf vermeintliche Ausgrenzung in der Gesellschaft. Seine Teilnahme an der Solidaritätsdemo für die Opfer der Anschläge in Paris hatte Davutoglu daheim zugleich umgewertet zu einem Zeichen der "Solidarität mit den Muslimen Frankreichs".

Davutoglu sprach kurz vor seinem Abflug zu einem Besuch in Brüssel. Kurz davor hatte das Europäische Parlament die Türkei eindringlich ermahnt, ihre repressive Medienpolitik radikal zu ändern und die Grundlagen für Pressefreiheit zu schaffen. Laut Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat das Land freilich bereits "die freieste Presse der Welt".