welt.de, 15.01.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article136425610/Islamisten-trotzen-amerikanischen-Luftschlaegen.html

Syrienkrieg

Islamisten trotzen amerikanischen Luftschlägen

Seit September bombardieren die USA die Terrormiliz Islamischer Staat. In Syrien konnten die Dschihadisten ihr Territorium trotzdem seit August angeblich fast verdoppeln. Wie konnte das passieren? Von Clemens Wergin

Trotz einer seit Monaten anhaltenden Luftkampagne gegen die islamistische Terrororganisation IS ist es den Extremisten offenbar gelungen, das von ihnen beherrschte Territorium in Syrien deutlich auszuweiten. Wie "Wall Street Journal" (Link: http://www.wsj.com/articles/u-s-led-airstrikes-fail-to-slow-islamic-state-in-syria-1421271618?cb=logged0.1373361778441392) und "Daily Beast" (Link: http://www.thedailybeast.com/articles/2015/01/14/exclusive-isis-gaining-ground-in-syria-despite-u-s-strikes.html) übereinstimmend berichten, beherrschen die Terroristen nun mindestens ein Drittel des Landes. Das von IS kontrollierte Gebiet hat sich demnach seit Ende August fast verdoppelt. Es umfasse im Norden weite Teile des zentralen Grenzgebietes zur Türkei und erstrecke sich über die IS-Hauptstadt Rakka bis an die irakische Grenze, deren Verlauf sich zu großen Teilen in der Hand von IS befindet. Bis auf ein umkämpftes Gebiet im Südosten scheint IS inzwischen auch den gesamten Flusslauf des Euphrat in Syrien zu kontrollieren.

Die Informationen der beiden Publikationen gehen auf Daten der Coalition for a Democratic Syria (CDS) zurück, eines Zusammenschlusses syrischer Oppositionsgruppen in den USA. Die neuen Frontverläufe wurden durch ein Erkundungsteam ermittelt und mithilfe von Informationen verschiedener Organisationen und Netzwerke vor Ort wie etwa Gemeinderäten, humanitären Organisationen, Kämpfern, unabhängigen Medien und syrischen Informanten überprüft.

In den vergangenen Wochen hatte das US-Militär behauptet, IS an manchen Stellen zurückgedrängt zu haben. Militärsprecher waren der Frage aber bei Pressekonferenzen stets ausgewichen, ob sich das nur auf den Irak beziehe oder auch auf Syrien. Generalstabschef Martin Dempsey hatte vor einigen Tagen jedoch zugegeben, dass es in Syrien Probleme gibt. Die von den Amerikanern unterstützte Opposition stehe unter "enormem Druck", besonders im Norden, sagte Dempsey. Das sei derzeit seine größte Sorge im Hinblick auf die Fähigkeiten der Amerikaner, moderate Oppositionsgruppen auf ihre Seite zu ziehen, zu rekrutieren und zu überprüfen.

Da US-Präsident Barack Obama bisher ausgeschlossen hat, US-Soldaten auch auf dem Boden einzusetzen, sind Amerika und seine internationalen Koalitionspartner darauf angewiesen, dass lokale Verbündete sich die Luftschläge der US-geführten Koalition zunutze machen, um Territorium vom IS zurückzuerobern. Das scheint im Irak besser zu funktionieren als in Syrien (Link: http://www.welt.de/themen/syrien-krise/) . "Irak ist für uns derzeit am wichtigsten, weil wir dort einen glaubwürdigen Partner haben", sagte Dempsey.

Im Irak koordinieren die Amerikaner ihre Aktionen mit den kurdischen Peschmerga-Milizen und der irakischen Armee. Man werde einstweilen mithilfe von Luftschlägen den Druck auf IS in Syrien aufrechterhalten, um sich dem dortigen Rückzugsgebiet der Miliz später noch intensiver zuzuwenden. In der Zwischenzeit versuchten die USA, auch dort einen glaubwürdigen Partner aufzubauen. Dempsey deutete auch an, dass er eine intensivere Kampagne in Syrien derzeit für kontraproduktiv hält. "Es handelt sich um eine Art Choreografie. Um das richtig hinzubekommen, damit wir uns nicht in eine Situation begeben, in der wir mehr Schaden anrichten, wenn wir Vakuen und Leerstellen schaffen, die für mehr Instabilität in der Region sorgen."

Ein hochrangiger Pentagon-Offizieller bestätigte Geländegewinne von IS in Syrien gegenüber dem "Wall Street Journal". "Sicherlich ist es IS gelungen, sich in Syrien auszudehnen", sagte der Offizielle. "Ich würde Syrien nicht als sicheres Rückzugsgebiet für IS bezeichnen, aber es ist ein Ort, wo es ihnen leichter fällt, sich zu organisieren, zu planen und sich in Schutzräumen zurückzuziehen, als im Irak."

Führungskader im Visier

Die Amerikaner haben seit September etwa 800 Luftangriffe in Syrien geflogen, die sich vor allem gegen die Kommandostruktur von IS richteten. Oppositionsgruppen kritisieren, dass die Angriffe meist Ziele im Herzen des von IS gehaltenen Territoriums träfen und wenig beigetragen hätten, die Kampfkraft von IS an der Front zu den moderaten Oppositionsgruppen zu schwächen. "Die Angriffe der Koalition ähneln den Drohnen-Kampagnen im Jemen oder in Pakistan, sie zielen nur auf die Führungskader", sagt Mouaz Moustafa, politischer Berater von CDS, dem "Daily Beast". "Die Stärke von IS an der Front hat zugenommen, selbst wenn gezielte Angriffe auch einzelne Führer der mittleren Kommandoebene getroffen haben."

Militärexperten hatten davor gewarnt, dass Präsident Obamas Strategie, IS (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) ohne Bodentruppen zu bekämpfen, besonders in Syrien kaum Aussichten auf Erfolg haben werde. Die Amerikaner wollen dort mehrere Tausend Kämpfer der moderaten Opposition ausbilden und ausrüsten, die dann den Kampf gegen IS voranbringen sollen. Doch das scheint schwierig. Es ist nicht einfach herauszubekommen, wer überhaupt ein vertrauenswürdiger Partner sein kann. Und die Opposition sieht das Assad-Regime auch weiter als wichtigsten Feind und möchte sich nicht in einem Zweitfrontenkrieg zerreiben lassen.

Die US-Regierung macht bisher jedoch keine Anstalten, die Opposition auch im Kampf gegen das Regime zu unterstützen. Der Grundsatz, ein Machtvakuum vermeiden zu wollen, gilt eben auch für Gebiete, die von Assad (Link: http://www.welt.de/themen/baschar-al-assad/) gehalten werden. Die US-Militärs haben jedenfalls deutlich gemacht, dass sie sich derzeit auf den Irak konzentrieren wollen. Die Frage ist, ob der Kampf dort auf Dauer erfolgreich sein kann, wenn IS in Syrien ein wachsendes Territorium als Rückzugsgebiet nutzen kann. In Afghanistan hat der Westen ja schon die Erfahrung gemacht, wie schwierig es war, die Taliban in Afghanistan zu bekämpfen, solange sie von der Regierung kaum kontrollierte Gebiete im Norden Pakistans als Rückzugsraum nutzen konnten.