welt.de, 16.01.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article136465136/Tuerken-demonstrieren-fuer-die-Paris-Attentaeter.html

Türken demonstrieren für die Paris-Attentäter

Islamistische Sympathisanten der Mörderbrüder von Paris demonstrieren in Istanbul und verkehren die Weltformel "Je suis Charlie" in ihr Gegenteil. Auch Osama bin Laden wird gefeiert. Von Dietrich Alexander

"Je suis Charlie!" – Diese drei Worte gingen nach den islamistischen Terroranschlägen in Paris um die Welt und drückten unmissverständlich Solidarität mit dem angegriffenen Satiremagazin aus. Eine Mischung aus Trotz und Trauer. Weltweit. Auch in der arabisch-islamischen Welt, wo viele wichtige Zeitungen trotz drohender Repressionen die Karikaturen der neuesten "Charlie-Hebdo" (Link: http://www.welt.de/themen/charlie-hebdo/) -Ausgabe nachdruckten und auf diese Weise ihre Abscheu gegen die feigen Morde der Brüder Chérif und Saïd Kouachi zum Ausdruck brachten.

In der Türkei ging das nicht ganz geräuschlos vonstatten: Der Staatsapparat ließ die Auslieferung der Zeitungen stoppen und kontrollierte die Ausgaben, bevor sie an die Kioske gelangen konnten. Die Behörden fanden nichts Anrüchiges, das ist zum Teil der Subtilität der türkischen Zeitungsmacher zu verdanken, die die aktuelle Coverzeichnung von "Charlie Hebdo" – einen weinenden Propheten Mohammed – geschickt versteckten.

Was aber sagen die Behörden zu den jüngsten Demonstrationen in Istanbul? Ein paar Dutzend islamistische Sympathisanten entblödeten sich nicht, in Istanbul ihre Sympathie für die getöteten Pariser Terroristen Chérif und Saïd Kouachi auszudrücken. Rund 160 Männer hielten ein Begräbnisgebet ab, sie riefen "Allahu Akbar" (Gott ist größer) und hielten ein Transparent mit Bildern des am 2. Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad von einem US-Spezialkommando getöteten früheren Al-Qaida-Chefs Osama Bin Laden (Link: http://www.welt.de/themen/al-qaida/) und der Kouachi-Brüder hoch. Zu sehen waren zudem kleinere Schilder mit den Slogans "Wir sind alle Chérif" und "Wir sind alle Saïd" – ein höchst geschmackloser Missbrauch des Slogans "Je suis Charlie".

Auf einem Transparent der Demonstranten im besonders religiösen Istanbuler Stadtteil Fatih hieß es: "Wenn eure Meinungsfreiheit grenzenlos ist, dann macht euch auf unser Recht zu grenzenlosen Aktionen gefasst."

Solche Bekundungen sind in einem Klima möglich, das der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan selbst befördert hat. Er kritisierte "Charlie Hebdo" wegen der neuerlichen islamkritischen Karikaturen. Erdogan warf "Charlie Hebdo" vor, mit den Zeichnungen weiteren Terror anzufachen.

Im gleichen Atemzug verschärfte er den verbalen Schlagabtausch mit Israel. Er "verfluche" die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für die beim jüngsten Gaza-Krieg getöteten Palästinenser, sagte Erdogan in Ankara, betonte aber ausdrücklich, nicht das israelische Volk zu meinen. Angesichts der Toten in Gaza sei es "scheinheilig", dass Netanjahu am Trauermarsch in Paris nach den islamistischen Anschlägen dort teilgenommen habe.

Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hatte ihn zuvor einen "antisemitischen Rüpel" genannt. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte Netanjahu daraufhin mit den islamistischen Attentätern von Paris verglichen. "Genau wie diese Terroristen hat auch Netanjahu Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen", hatte Davutoglu gesagt, der im Übrigen auch in Paris dabei war und in dessen Land die meisten Journalisten weltweit im Gefängnis sitzen.