spiegel.de, 21.01.2015

http://www.spiegel.de/politik/ausland/polizeigewalt-in-der-tuerkei-polizisten-muessen-zehn-jahre-in-haft-a-1014205.html

Tod eines Erdogan-Gegners: Türkische Polizisten zu zehn Jahren Haft verurteilt

Proteste vor dem Gericht in Kayseri: "Die Menschen, die einen 19-Jährigen ermordeten, haben keine Gnade verdient"

Sie hatten einen 19-jährigen Demonstranten zu Tode geprügelt. Deshalb hat ein Gericht in der Türkei zwei Polizisten zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Familie des Opfers nennt das Urteil einen "Witz".

Istanbul - Mit Latten und Baseballschlägern prügelten die Polizisten auf Ali Ismail Korkmaz ein - so lange, bis der 19-Jährige Hirnblutungen erlitt und ins Koma fiel. Das war am 2. Juni 2013. 38 Tage später starb der junge Mann.

Die Übergriff in der Stadt Eskisehir war einer der schlimmsten Fälle von Polizeigewalt gegen Demonstranten, die vor anderthalb Jahren gegen den damaligen Regierungschef und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan protestierten.

Ein Gericht in Kayseri hat wegen des Todesfalls an diesem Mittwoch zwei Polizisten zu zehn Jahren Haft verurteilt. Zwei weitere angeklagte Beamte wurden freigesprochen. Die Angehörigen reagierten wütend auf den Richterspruch. "Die Menschen, die einen 19-Jährigen ermordeten, haben keine Gnade verdient", sagte Alis Mutter Emel Korkmaz. "Ihr seid alle Mörder, der Mörderstaat wird zur Rechenschaft gezogen", riefen Unterstützer der Familie im Gerichtssaal.

Keine Einsicht bei den Polizisten

"Das Urteil ist ein Witz", sagte ihr Anwalt Ömer Kavili, der wie die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft gefordert hatte. Das Gericht erkannte bei den Tätern jedoch keinen Tötungsvorsatz. Einer der verurteilten Polizisten sagte: "Die wahren Mörder sind die, die hinter den Gezi-Park-Protesten stecken und unschuldige Jugendliche auf die Straße geschickt haben."

Auch vier Händler, die auf Korkmaz eingeschlagen hatten, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Drei von ihnen müssen für sechs Jahre und acht Monate hinter Gitter, ein Vierter drei Jahre und vier Monate.

Bei den landesweiten Massenprotesten gegen Erdogan, die sich an einem Bauprojekt im Gezi-Park in Istanbul entzündet hatten, waren im Sommer 2013 insgesamt acht Menschen getötet worden. 8000 Menschen wurden verletzt und Tausende Demonstranten festgenommen.

Im September vergangenen Jahres war ein Polizist erstmals wegen des Todes eines Gezi-Demonstranten zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Dem Polizisten war vorgeworfen worden, im Juni 2013 den 26-jährigen Demonstranten Ethem Sarisülük erschossen zu haben.

Etwa 5500 Türken wurden angeklagt, weil sie sich an den Protesten beteiligt hatten, die Erdogan als Putschversuch bezeichnete.