welt.de, 21.01.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article136613832/Ueberall-in-Kobani-liegen-tote-IS-Kaempfer.html

"Überall in Kobani liegen tote IS-Kämpfer"

Student Ingo Dauben wollte sich selbst ein Bild vom Krieg gegen die Terrormiliz machen und fuhr nach Kobani. Dort fand er Verwüstung – aber auch ungebrochenen Siegeswillen. Ein Augenzeugenbericht. Von Alfred Hackensberger , Tanger

Vor vier Monaten hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) ihren Angriff auf die syrisch-türkische Grenzstadt Kobani begonnen. Nur mit der Luftunterstützung der internationalen Koalition konnten kurdische Truppen die Extremisten abwehren. Heute ist nahezu der gesamte Ort wieder unter kurdischer Kontrolle. Weit über 1000 IS-Kämpfer sollen getötet worden sein. Aber die Terrormiliz gibt nicht auf und startet immer wieder neue Angriffe. Kobani bleibt eine der gefährlichsten Städte der Region. Trotzdem reiste Ingo Dauben aus Geldern (Nordrhein-Westfalen) in die umkämpfte Grenzstadt. Der 27-jährige Student der Sozialpädagogik wollte sich persönlich ein Bild machen. Nach seiner zehntägigen Reise ist er wieder zu Hause und spricht zum ersten Mal über seine Erfahrungen.

Die Welt: Wie kommt man dazu, freiwillig in den Krieg zu ziehen und sein Leben zu riskieren?

Ingo Dauben: In Deutschland hörte ich immer, wie grausam die IS-Terroristen sind und wie schlecht es den Tausenden von Flüchtlingen geht. Aber viel mehr Informationen gab es kaum. Deshalb habe ich mich entschlossen, mir das einmal direkt vor Ort anzusehen. Die Kurden kämpfen gegen die momentan gefährlichste Bedrohung der Menschheit und sie kämpfen nicht nur für sich selbst, sondern auch für uns.

Welt: Wie haben Sie die Kriegsstadt Kobani erlebt?

Dauben: Am ersten Tag habe ich eine kleine Tour mit Journalisten zur Orientierung gemacht. Das war sehr eindrucksvoll, die Stadt, die Menschen. Alles ist perfekt organisiert. Jeder macht das, was er am besten kann. Ich war im Krankenhaus. Dort arbeiten Ärzte und Pflegepersonal unter den schlimmsten Bedingungen, aber alle sind höchst professionell. In nur 15 Minuten wurden sechs Verwundete eingeliefert, darunter ein kleines Kind mit schweren Verbrennungen. Sie alle wurden schnell und bestens versorgt. Ich habe vormittags in der Logistik geholfen. Da wurden alle Hände benötigt, um Lieferungen an die einzelnen, geheimen Versorgungspunkte in der Stadt zu verteilen. Da kamen auch Kämpfer, um Lebensmittel, Wasser und Zigaretten zu übernehmen. Nachmittags bin ich dann meist an die Front gegangen.

Welt: Die Kampflinie liegt noch innerhalb der Stadt?

Dauben: Kobani ist wirklich kein großer Ort. Zu Fuß ist man in zehn oder 15 Minuten an der Front. Der IS steht am östlichen und westlichen Rand von Kobani. Deshalb können die Islamisten noch immer die ganze Stadt beschießen.

Welt: Wie sieht es an der Front aus?

Dauben: Vom IS ist man nur durch eine Straße getrennt. Da liegen nicht mehr als 25 Meter dazwischen. Nachts versuchen IS-Kämpfer, an Kurdenstellungen heranzuschleichen, um sie dann im Morgengrauen in die Luft zu sprengen. Die Kobani-Verteidiger haben mir gesagt, wenn die Stadt erst einmal von den Terroristen gesäubert sei, dann sei alles kein Problem mehr. Die umliegenden Dörfer seien danach leicht zu befreien. Da gebe es nur offenes Gelände und kaum Orte, die Schutz bieten könnten.

Welt: Aber das scheint noch zu dauern. Die IS-Kämpfer wollen offenbar nicht aufgeben.

Dauben: Ja, allerdings! Ich erinnere mich noch an eine groß angelegte IS-Offensive am 6. Januar. Sie wollten die sogenannte schwarze Schule zurückerobern. Das ist ein strategisch zentraler Punkt in Kobani. Sie griffen mit zwei Panzern an. Nachts flog die Koalition permanent Luftangriffe. Früh morgens konnten die beiden Panzer mit Katjuscha-Raketen zerstört und der Angriff zurückgeschlagen werden. Danach dachten alle, jetzt sei endgültig Schluss. Aber nein, der IS machte weiter.

Welt: Sie scheinen sich sehr schnell an den Krieg gewöhnt zu haben. Hatten Sie keine Angst?

Dauben: Nein, man gewöhnt sich sehr schnell daran. Das hat mich auch gewundert. Angst hat man keine, obwohl in Kobani überall und jederzeit Mörsergranaten einschlagen können. Um 16 Uhr geht die Sonne unter und man sollte draußen im Dunkeln nie mit Taschenlampe gehen – wegen der Drohnen und der Scharfschützen.

Welt: Sie konnten nachts ruhig schlafen?

Dauben: Ja, selbst die nächtlichen Bombardements waren kein Problem. Zuerst hört man das Flugzeug, dann kurze Zeit später eine Explosion oder auch drei hintereinander. Man verbindet ja etwas Gutes mit den Luftangriffen der Koalition. Ich erinnere mich an einige Kinder, die nach einem Bombenangriff voller Freude lachten.

Welt: Haben Sie an der Front die Kämpfer nicht gestört?

Dauben: Nein, im Gegenteil. Das war gut für die Moral, wenn sich ein Deutscher direkt an der Kampflinie zeigt. Ich habe viele Stunden mit den Kämpfern verbracht, wenn nicht viel los war. Sie waren nett und zuvorkommend. Der Kampf wird von jungen Männern und Frauen geführt, die meisten sind nicht älter als 20 Jahre und haben uralte Waffen. Ein Scharfschütze zeigte mit sein Gewehr, das noch aus dem zweiten Weltkrieg stammte. Keiner trägt eine Schutzweste oder einen Helm.

Welt: In Kobani haben die syrisch-kurdische Miliz YPG und die Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Verstärkung von den Peschmerga-Truppen aus der autonomen Kurdenregion im Irak bekommen. Auch eine kleine Einheit der Freien Syrischen Armee (FSA) ist in der Stadt. Sind die alle gemeinsam an der Front?

Dauben: Nein, in vorderster Linie kämpfen nur Einheiten der YPG und PKK. Die Peschmerga sind mit ihrer schweren Artillerie relativ weit hinten. Sie haben auch ein besseres Leben als die anderen. Nach einigen Wochen werden sie abgelöst. Ihre Verpflegung ist auch besser. Sie haben Schafe mitgebracht, um frisches Fleisch zu haben. Keiner der Peschmerga-Kämpfer gibt je einen Schuss auf den IS ab. Sie sind nur für die Artillerie zuständig.

Welt: Und die FSA?

Dauben: Ihre Kämpfer sind ebenfalls hinter der Front untergebracht. Nur selten kämpfen sie ganz vorne.

Welt: Kobani liegt in Trümmern. Wie muss man sich das Stadtbild vorstellen?

Dauben: Alles kaputt, könnte man sagen. Auf dem bekannten Friedensplatz der Stadt steht kein Gebäude mehr. Überall sind Barrieren aufgebaut, um die IS-Selbstmordattentäter mit ihren Fahrzeugen aufzuhalten. Überall liegen tote IS-Kämpfer. Wegen der Scharfschützen und versteckten Bombenfallen ist es zu gefährlich, sie zu bergen und zu beerdigen. Einer von ihnen lag zwölf Tage auf der Straße. Ich konnte erkennen, dass er aus dem asiatischen Raum stammte.

Welt: Gibt es nach wie vor Zivilisten in der Stadt?

Dauben: Ja, einige sind noch da und leben dort ohne Wasser und Strom. Andere haben sich Zelte unmittelbar in der Nähe des Grenzzauns zur Türkei gebaut. Viele schlafen auch auf Anhängern, in Kleinbussen oder in Autos. Manche von ihnen sind aus der Türkei zurückgekommen, weil sie dort nicht bleiben konnten oder wollten. Sie sagten, sie zögen es vor, notfalls in ihrer Heimat zu sterben.

Welt: Aber an eine Niederlage glaubt niemand?

Dauben: Nein. Abends werden im kurdischen Fernsehen die Märtyrer des Tages gezeigt. Die Moral aber ist ungebrochen, und das ist wohl auch der Grund dafür, dass die Stadt noch nicht gefallen ist.