welt.de, 27.01.2015 http://derstandard.at/2000010885708/Kurden-kontrollieren-wieder-90-Prozent-von-Kobane Pipelines Moskau macht die Türkei zu Europas Gas-Drehkreuz Mit dem Schwenk hat Europa nicht gerechnet: Russland will den bisher über die Ukraine laufenden Gas-Export einstellen und stattdessen in die Türkei führen. Das Gas solle sich die EU dort abholen. Von Eduard Steiner Wenn die Entscheidungsträger der Putin-Ära in Russland etwas zur Meisterschaft getrieben haben, so ist es die Fähigkeit, mit einer unerwarteten Wendung ihr Gegenüber zu irritieren. Ihr Anführer und Lehrmeister, Kremlchef Wladimir Putin, ist darin unübertroffen. Aber auch seine engsten Weggefährten stehen ihm inzwischen kaum noch nach. Gazprom-Chef Alexej Miller (Link: http://www.gazprom.com/) etwa schien es zu genießen, als er Mitte Januar den EU-Vizepräsidenten für die Energieunion, Maros Sefcovic, darüber informierte, dass Russland ab 2020 den bisher über die Ukraine laufenden Gas-Export nach Europa einstellen und stattdessen über die Türkei führen werde. Schon im Dezember hatte Putin kundgetan, dass Russland das 40 Milliarden Dollar teure Mega-Pipelineprojekt "South Stream (Link: http://www.south-stream-offshore.com/) " nicht weiter verfolgen werde. Die South-Stream-Pipeline war ebenfalls bereits zur Umgehung der Ukraine geplant: Die Röhre sollte russisches Gas durch das Schwarze Meer bis nach Wien leiten. Millers Türkei-Schwenk war dann nur die logische Fortsetzung. EU war für South-Stream-Absage nur Vorwand Weg von der Ukraine, weg auch von South Stream, stattdessen alles über die Türkei – so sieht offenbar die Reaktion der Russen auf die europäische Wettbewerbspolitik aus. Denn sehr zum Ärger der Gazprom (Link: http://www.welt.de/boerse/aktien/Gazprom-OAO-US3682872078.html) hatte die EU-Kommission für South Stream die Einhaltung der EU-Regeln gefordert: Gaslieferant und Pipelinebetreiber dürften demnach nicht identisch sein. Und die Pipeline müsse dritten Lieferanten ebenso offenstehen. Die harte Haltung der Europäer kam den Russen am Ende allerdings durchaus gelegen: Denn finanziell ließ sich der Bau der South Stream eigentlich ohnehin nicht mehr rechtfertigen. Immerhin will Moskau ja auch noch zusätzlich den neuen Absatzmarkt China durch den Bau teurer Pipelines erschließen. Da traf es sich günstig, dass Moskau den Rückzieher bei South Stream gesichtswahrend den europäischen Wettbewerbsbehörden in die Schuhe schieben konnte. Ganz ohne neue Pipeline nach Europa glaubt Russland aber dennoch nicht auszukommen. "Turkish Stream ist nun die einzige Pipeline", sagte Miller. "Andere Varianten sind nicht mehr möglich. Unsere europäischen Partner sind darüber in Kenntnis gesetzt, und ihre Aufgabe ist es jetzt, die nötige Transportinfrastruktur von der türkisch-griechischen Grenze zu errichten". Europäer sollen Gastransport jetzt selbst organisieren Mit einem solchen Schwenk hat die EU sichtlich nicht gerechnet. "Die EU ist geschockt von dieser Idee", erklärt Frank Umbach, Forschungsdirektor am European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS) (Link: http://www.kcl.ac.uk/prospectus/group/european-centre-for-energy-amp-resource-security--obr-eucers-cbr-) des King's College in London, auf Anfrage. Bislang lieferte Gazprom das russische Gas über Gazprom-Pipelines in die EU hinein. Und auch bei South Stream war der Transport bis nach Wien oder gar weiter nach Italien vorgesehen. Nun plötzlich soll das russische Gas nur noch bis zu einem Handelsdrehkreuz in die Westtürkei fließen. Von dort aus sollen die Europäer den Weitertransport selber organisieren. In einer ersten Reaktion neigte man in EU-Ämtern dazu, von Bluff zu sprechen. In einer zweiten kündigte man eine Arbeitsgruppe an, die vor ihrem Start aber noch viele Fragen von den Russen beantwortet haben möchte. "Die EU steht gewissermaßen unter Druck", sagt Umbach: "Aber es ist nicht so, dass die EU klein beigeben sollte. Sie müsste dann selbst eine Pipeline von Griechenland bis Mitteleuropa bauen und finanzieren, obwohl wesentlich größere Pipelinekapazitäten durch die Ukraine bereits zur Verfügung stehen." Ein solcher Pipelinebau würde faktisch die russische Strategie einer Umgehungspipeline der Ukraine befürworten und bekräftigen, befürchtet Umbach: "Dies aber steht den Erklärungen der EU vom März 2014 entgegen, die ukrainische Energiesicherheit zu stärken." Auch die Leitung in die Türkei kostet Milliarden Auch für die Russen ist die Angelegenheit nicht so einfach. Zwar wird bereits aktiv mit türkischen Regierungsvertretern verhandelt. Aber fest steht lediglich das strategische Ziel, den bis 2019 laufenden Transitvertrag mit der Ukraine nicht zu verlängern. Alles andere, sagt Alexej Grivatsch, Vizechef der Moskauer Stiftung für nationale Energiesicherheit, ist noch nicht fix. Zum einen nämlich riskiert Gazprom Imageprobleme, wenn das Gas nicht mehr an der Stelle den Käufern übergeben wird, an denen es vertraglich vereinbart ist. Zum andern muss Gazprom die bestehende Leitung "Blue Stream" durch das Schwarze Meer in die Türkei ausbauen und auf dem türkischen Festland eine Röhre bis an die griechische Grenze legen, was laut Grivatsch insgesamt 23,5 Milliarden Dollar verschlingen würde. Die Türkei selbst wird zwar als Abnehmer für Gazprom immer wichtiger. Hatte das Land am Bosporus im Jahr 2003 nur 12,9 Milliarden Kubikmeter Gas in Russland eingekauft, waren es zehn Jahre später schon 26.7 Milliarden Kubikmeter. Heute belegt die Türkei Platz zwei unter Russlands größten Gasabnehmerländern hinter Deutschland (41 Milliarden Kubikmeter) und noch vor Italien (25,3 Milliarden Kubikmeter). Dennoch würde Gazprom bei der Umsetzung der neuen Idee eines "Turkish Stream" viel riskieren. Denn zum einen werden Warnungen in der Türkei laut, sich in eine noch größere Abhängigkeit von russischem Gas zu begeben. Zum anderen fehlen bislang auch die Märkte, auf die das Gas von der türkisch-griechischen Grenze aus fließen könnte, falls sich die EU weigert, eine Anschlusspipeline nach Europa zu bauen. Gazprom würden Rieseneinnahmen wegfallen. Gas würde in Europa teurer werden Ein Problem für die EU wiederum wäre, dass der Gaszukauf an der türkisch-griechischen Grenze teurer würde als bisher über den ukrainischen Transit, da die Russen die Baukosten für "Turkish Stream" ja hereinspielen wollen. "Die EU hat ein strategisches Interesse, die Gaspreise zu reduzieren, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Wirtschaft nicht zu gefährden und die ohnehin schleichenden Tendenzen einer Deindustrialisierung zu fördern, da die Gaspreise in Europa drei- bis viermal so hoch sind wie in den USA", erklärt Umbach. Die Russen scheinen gewisse Rechnungen ohnehin ohne den Wirt gemacht zu haben. Der Gasverbrauch in der EU sinkt. Bislang gingen die Prognosen zwar davon aus aus, dass der Importbedarf dennoch steigt, weil die europäische Eigenproduktion noch schneller sinkt als der Verbrauch. Doch das Bild ändert sich rasch: Inzwischen prognostiziert die EU in ihrer jüngsten EU-Energiestrategie zum ersten Mal auch einen sinkenden Importbedarf. Türkei beherrscht künftig das Gas-Drehkreuz Ersatzlieferanten, um von russischen Lieferungen unabhängiger zu werden, sind zwar nicht im Handumdrehen verfügbar. Aber immerhin hat Europa freie Terminal-Kapazitäten zum Empfang und zur Lagerung von Flüssiggas geschaffen. Zudem wird der Kaspische Raum soeben mit einer neuen Pipeline namens TANAP ( Trans Anatolian Gas Pipeline) (Link: http://www.tanap.com/en/) durch die Türkei zugänglich gemacht. Die Verlängerung dieser Röhre über Griechenland nach Italien mit der TAP (Trans Adriatic Pipeline) (Link: http://www.tap-ag.com/) ist bereits in Planung. Ab 2018 sollen anfänglich zehn Milliarden Kubikmeter aus Aserbaidschan nach Südeuropa fließen – eine Ausweitung auf 20 Milliarden Kubikmeter ist später möglich. In der besten Position
befindet sich momentan die Türkei, die aufgrund ihrer geografischen Lage
die Hände eigentlich in den Schoß legen und abwarten kann. Ist das Land
schon für den Kaspischen Gasexport nach Europa unumgänglich, so lockt
nun auch das Angebot der Russen für "Turkish Stream".
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