spiegel.de, 27.01.2015

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Umkämpfte Grenzstadt: Erdogan kritisiert westlichen Fokus auf Kobane

Zerstörung in Kobane: Zu 90 Prozent vom IS befreit

Die internationale Gemeinschaft zittert um Kobane, aber was ist mit dem viel größeren Aleppo? Der türkische Präsident Erdogan wirft den Partnern vor, das Leid in der belagerten Millionenstadt zu ignorieren.

Istanbul - Nach verschiedenen Meldungen über die Befreiung der syrischen Grenzstadt Kobane hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan das große Interesse an der Stadt kritisiert. "Wenn es um Kobane geht, steht die ganze Welt auf und hilft", sagte Erdogan. Es interessiere sich jedoch niemand für die nordsyrische Millionenstadt Aleppo, sagte Erdogan in Ankara vor lokalen Politikern. "Wir sagen ihnen Aleppo, doch sie hören nichts", monierte er. In Kobane hatten vor Beginn der Schlacht etwa 100.000 Menschen gelebt, Aleppo hatte mehr als zwei Millionen Einwohner. Viele der geflüchteten Einwohner leben inzwischen in der Türkei.

Nach monatelangen Kämpfen hatten kurdische Kämpfer die Terrormiliz am Montag weitgehend aus Kobane vertrieben. Nach Angaben einer Oppositionsgruppe wurden die Kämpfe zwischen IS-Kämpfern und Kurdenmilizen außerhalb Kobanes fortgesetzt. Unterstützer des IS bestritten jedoch, die Stadt sei schon vollständig geräumt worden. Auch das US-Außenministerium meldete am Dienstag, dass es zu früh sei, die Operation für beendet zu erklären. Bislang seien rund 90 Prozent der Stadt zurückerobert worden, der IS ziehe sich aber zurück. Auch am Dienstag flogen die USA Angriffe auf IS-Stellungen.

Türkische Polizei hält Kurden von der Rückkehr nach Kobane ab

Die Nachricht vom Montag, dass der IS komplett aus Kobane vertrieben sei, ließ Augenzeugen zufolge viele Kurden aus Suruc und benachbarten Städten zur Grenze strömen. Sie hätten den Sieg der kurdischen Kämpfer gefeiert, berichtete ein Journalist. Die türkische Polizei habe sie am Grenzübertritt nach Syrien gehindert. Die Beamten hätten Straßen gesperrt und sogar Tränengas eingesetzt, sagte ein syrischer Kurdenpolitiker.

Erdogan sagte, die Türkei habe 200.000 Flüchtlinge aus der Region Kobane aufgenommen. Unklar sei jedoch, ob diese zurückkehren könnten. "Wer wird die zerbombten Orte wieder aufbauen? Niemand plant für die Zukunft", kritisierte er. Insgesamt leben nach Regierungsangaben rund 1,6 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Am Sonntag eröffnete das Land das bisher größte Flüchtlingslager in der Region Suruc, die ans syrische Kobane grenzt.