taz, 29.01.2015 http://www.taz.de/Das-PKK-Verbot-ist-ueberholt/!153670/ Das PKK-Verbot ist überholt Ein Hauch von Stalingrad Nach dem historischen Sieg über den IS ist es an der Zeit, das PKK-Verbot aufzuheben und beim Wiederaufbau von Kobane zu helfen. Angehörige der „Frauenverteidigungseinheiten“ (YPJ), der weiblichen Miliz der syrischen PYD, Kobane, Oktober 2014. Bild: Archiv Im November 1993 gab es gute Gründe, die PKK als terroristische Organisation zu verbieten. In der Türkei führte sie nicht nur einen Guerillakrieg, sondern verübte auch Anschläge auf Zivilisten oder löschte Mitglieder der so genannten Dorfschützermiliz mitsamt ihrer Familien aus. Auch hierzulande bot die Arbeiterpartei Kurdistans kein freundliches Bild: Schutzgelderpressung, blutige interne Abrechnungen, Brandanschläge auf türkische Einrichtungen. (Nein, nicht die Sache mit der Autobahn, die kam danach.) All das spielte beim Verbot, das der damalige Innenminister Manfred Kanther verfügte, eine Rolle. Doch hinzu kamen weitere Gründe, die dazu beitrugen, dass nicht, wie es beispielsweise in der EU bei der Hamas zeitweise der Fall war, nur der bewaffnete Flügel als terroristisch eingestuft wurde, sondern die gesamte PKK. In der Verbotsverfügung war von den „außenpolitischen Belangen der BRD“ die Rede und vom „Verhältnis zum türkischen Staat“, das es schütze gelte. Schließlich trete die „Außenpolitik der gesamten westlichen Welt“ für die „Integrität eines wichtigen Nato-, WEU- und Europapartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein“. Der Minister, der
seinerzeit als „schwarzer Sheriff“ verschrien war und heute als Mitverantwortlicher
des schäbigsten Parteiskandals der bundesdeutschen Geschichte, den angeblichen
„jüdischen Vermächtnissen“, in Erinnerung geblieben ist, würde in die
heutige Zeit nicht mehr passen. Doch genauso anachronistisch ist diese
Verbotsbegründung. Es stammt, wie es der taz-Kollege Christian Jakob mal
nannte, aus einer anderen Zeit. Denn die Verteidigerinnen und Verteidiger von Kobane – vor allem die Kämpferinnen und Kämpfer der PKK und ihr syrischen Ablegers PYD sowie Angehörige kleinerer syrischer Organisation, der Freien Syrischen Armee und Freiwillige aus der Türkei – haben nicht nur für sich gekämpft. Sie haben auch nicht allein, wie Frank Nordhausen in der Berliner Zeitung schreibt, für die westliche Welt gekämpft, sondern für nicht weniger als die menschliche Zivilisation. Oder wie es Stéphane Charbonnier, der ermordete Chefredakteur von Charlie Hebdo, im Oktober vorigen Jahres formulierte: „Die belagerten Kurden in Syrien sind keine Kurden, sie sind die Menschheit, die sich der Finsternis widersetzt.“ Nun haben sie, unterstützt von den amerikanischen Luftschlägen – ob es ins Weltbild linker Antiimperialisten passt oder nicht: mit Heldenmut und AK47 allein hätten sie den schweren Waffen des IS nicht trotzen können – dem Islamischen Staat seine erste ernste Niederlage beigebracht und den Mythos seiner Unschlagbarkeit gebrochen. Noch sind die Folgen nicht abzusehen. Doch im ersten Moment liegt etwas Historisches in der Luft: eine Erinnerung an Madrid 1936, ein Hauch von Stalingrad. Die Türkei hingegen war in diesem Kampf – sehr wohlwollend formuliert – zurückhaltend. Sie nahm, eher widerwillig, Flüchtlinge aus Kobane auf und ließ es zugleich zu, dass sich der IS über türkisches Territorium mit Nachschub versorgte. Zunächst meinte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, die PKK und der IS seien dasselbe, dann zeigte er sich überzeugt, dass Kobane jeden Augenblick fallen werde, nun sagt er, die Entstehung eines Nordsyriens analog zum Nordirak sei für die Türkei inakzeptabel. Ihm echte Sympathien
für den IS zu unterstellen, wäre zu viel. Eher hat man in Ankara den IS
und oder al-Nusra-Front als Hilfstruppen im Kampf gegen das Assad-Regime
und im Dienste der neoosmanischen Phantasien gesehen. Ideologisch aber
steht die AKP für etwas anderes: für eine Mischung aus enthemmten Kapitalismus
und religiösem Konservatismus. „Der wahre Kalif ist nicht Abu Bakr al-Bagdadi,
sondern Tayyip Erdoğan“, hat der amtierende PKK-Chef Cemil Bayık neulich
in einem Interview mit der Zeit treffend gesagt (in dem er einmal mehr
frühere Fehler der PKK einräumte). Seit sich die PKK von ihrem Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates verabschiedet hat und sich ideologisch eher an libertär-kommunitaristischen Ideen des amerikanischen Philosophen Murray Bookchin denn an Stalins Ausführungen zur „nationalen Frage“ orientiert, kann man nicht ernsthaft behaupten, sie gefährde die territoriale Integrität bestimmter Staaten. In Syrien kämpfen die PKK und PYD nicht nur gegen die gegenwärtig organisierte Barbarei der Gegenwart, sondern sind eine der wenigen verlässlich säkularen Kräfte in der Region – ein Gegenentwurf nicht nur zum Islamischen Staat, sondern auch zur AKP, was schon in ihrer Bildpolitik deutlich wird. Es waren vor allem Bilder von Frauen, die sie aus dem Kobane in Umlauf brachten: Kämpfende Frauen, lachende Frauen, zum Schluss jubelnde und tanzende Frauen. (Die hier verlinkten Accounts sind nicht die Urheber der Bilder.) Es ist an der Zeit, sie international als Gesprächspartner anzuerkennen. Es ist an der Zeit, die schizophrene Situation zu beenden, dass die amerikanische Luftwaffe mit PKK-Kämpfern zusammenarbeitet und die US-Regierung „den kurdischen und den FSA-Kämpfern“ dankt, diese kurdischen Kämpfer aber nicht beim Namen benennen kann, weil die PKK auch in den USA als Terrororganisation gilt. Es ist an der Zeit, die PKK von den Terrorlisten der westlichen Welt zu streichen. Wenigstens hier kann sich Deutschland nützlich machen. Und noch etwas kann Deutschland tun: Dabei helfen, Kobane wiederaufzubauen. Das haben die mutigen Frauen und Männer verdient. Kräne für Kobane! (Und natürlich weiterhin: Waffen für Kurdistan! Denn diese Sache ist noch nicht vorbei.)
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