Neues Deutschland, 29.01.2015

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Von Roland Etzel

Wirklich verhandeln will in Moskau niemand

Syrische Regierungsvertreter und Assad-Gegner beraten Ausweg aus dem fast vierjährigen Bürgerkrieg
Von Montreux nach Moskau. Vor Jahresfrist gab es Gespräche der syrischen Konfliktparteien in der Schweiz, jetzt ist Russland Gastgeber. Die Erfolgsaussichten sind aber noch geringer als damals.

In Moskau laufen derzeit Gespräche über ein Ende des blutigen syrischen Bürgerkriegs - weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit. Das war bei der vorigen Runde vor Jahresfrist in Montreux völlig anders. Die Stadt am Genfer See erlebte am 23. Januar 2014 einen wahren Massenauftrieb an Medien und beobachtender Politprominenz. Wochenlang war vorher darum gerungen worden, wer an den unter UNO-Regie einberufenen Syrien-Verhandlungen teilnehmen sollte und wer nicht. Doch nicht erst am Ende zeigte sich, dass es mehr oder weniger allen Seiten an der Kompromissbereitschaft mangelte, die nötig gewesen wäre, um wenigstens einen Waffenstillstand zu erzielen.

Der Krieg ging folglich ungebremst weiter und vollendet im April sein viertes Jahr. Die Zahl der dabei zu Tode gekommenen Menschen wird inzwischen mit über 200 000 angegeben. Drei Millionen Syrer sind auf der Flucht. Damit hat Syrien jetzt sogar Afghanistan als das Land abgelöst, in dem die meisten Staatsbürger ihre Heimat verlassen mussten.

Das syrische Staatsgebiet ist weiter in Einflussgebiete sich bekämpfender bewaffneter militärischer Formationen zerfallen, die regierungstreuen Streitkräfte eingeschlossen. Im Wesentlichen sind es derzeit zwei große Milizverbände, die gegen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad im bewaffneten Kampf stehen: einmal die Islamfundamentalisten des aus Irak vorgedrungenen sogenannten Islamischen Staats (IS), denen uneingestanden Hilfe aus Saudi-Arabien und der Türkei zuwächst; zum anderen die Nusra-Front, die ihren Rückhalt ebenfalls in Monarchien der Halbinsel hat. IS und Nusra-Front bekämpfen sich allerdings auch erbittert gegenseitig. Beide sind, weil sie auch gegen Israel und die USA propagandistisch Front machen, international als Terrororganisationen eingestuft und wurden deshalb vom UNO-Beauftragten für Syrien, dem Algerier Lakhdar Brahimi, nicht nach Moskau eingeladen.

Auch die zivile Opposition ist reichlich zerstritten, wobei die persönlichen Animositäten größer scheinen als die politischen Differenzen. Erkennbar ist dies am immer wieder neu aufflammenden Führungsstreit im größten Exil-Oppositionsbündnis Nationale Syrische Koalition. Trotz eindringlicher Aufforderungen seitens Brahimis nimmt keines der neun eingeladenen Mitglieder an den Moskauer Gesprächen teil.

Man geht sicher kaum falsch in der Annahme, dass der Westen die Moskau-Verweigerung der Koalition stillschweigend akzeptiert hat - anders als im vergangenen Jahr in Montreux. Die Exiltruppe wollte dort nur verhandeln, wenn Assad von jeder Nachkriegslösung ausgeschlossen bleibt. Auf Druck vor allem aus Washington musste sie damals in der Schweiz antreten, verweigerte sich aber direkten Gesprächen mit Assads Abgesandten.

Jetzt begründet man seine Absage damit, dass Brahimi nur von ihm ausgewählte Regimekritiker nach Moskau eingeladen habe und Russland als Verbündeter Assads sowieso als Konferenzort ungeeignet sei. Reichlich zwei Dutzend Exilanten sind trotzdem in Moskau.

Vertreten ist auch die zivile syrische Inlandsopposition. Allerdings wird sie von den Exilanten geschnitten, die ihnen vorwerfen, das Feigenblättchen der Regierung zu spielen. Zu der Moskauer Runde äußerten sie sich laut dpa sehr zurückhaltend. »Wir erwarten nicht viel von diesem Treffen«, sagte Monzer Khaddam, Sprecher des in Damaskus ansässigen oppositionellen Nationalen Koordinationskomitees. Über Resultate des Moskauer Vorpalavers ist inhaltlich nichts bekannt geworden. Man tagte hinter verschlossenen Türen und geizte auch mit öffentlichen Erklärungen. Vielleicht gilt es beim vorherigen Stand der Dinge schon als Fortschritt, dass noch niemand vorzeitig abgereist ist.

Seit Mittwoch sind nun auch Abgesandte Assads in Moskau dabei. Darauf erpicht schien die Führung in Damaskus nicht. Der russischen Schutzmacht die kalte Schulter zu zeigen, wollte sie aber wohl auch nicht. Assads Verhandlungsbereitschaft scheint nicht groß zu sein. Er selbst düpierte Brahimi und die russischen Verbündeten mit der Bemerkung, in Moskau werde nicht über eine Lösung verhandelt. Was dort geschehe, seien allenfalls »Vorbereitungen« für eine Konferenz, zitiert ihn die US-Zeitschrift »Foreign Affairs«. Das Interview, das er dem Blatt gab, enthielt auch nicht das kleinste Entgegenkommen.

Gastgeber Russland selbst verbindet wohl auch keine großen Erwartungen mehr mit den Gesprächsrunden. Das war unmittelbar nach Montreux sicher anders. Damals gab es offenbar Einvernehmen mit der Obama-Administration darüber, den offenen Syrien-Krieg zu ersticken - erstens, um seine strategische Positionen in der Region zu stabilisieren; zweitens, um nicht in neue militärische Unwägbarkeiten hineingezogen zu werden. Nach der jähen Abkühlung des Verhältnisses infolge der Ukraine-Krise ist aber offen, ob das 2013/14 recht weitgehende Einvernehmen zwischen Kreml und Weißem Haus in puncto Syrien noch gilt.