Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.2.2015


Rückkehr in Mondlandschaften

1. Februar 2015 von Markus Bickel

Tiefe Krater wohin man schaut, von den Einschlägen der amerikanischen Kampfflieger ebenso wie von Autos, die die Kämpfer des „Islamischen Staats“ in die Luft sprengten. Martin Glasenapp von der deutschen Hilfsorganisation Medico International ist vor Ort dabei, als Angehörige der Verwaltung Kobanes am Wochenende Viertel am Rande der Stadt durchkämmen. Auf Sprengfallen, die die Dschihadisten hinterlassen haben, stoßen die Männer dabei ebenso wie auf immer neue Leichen. Ganze Straßenzüge sind dem Erdboden gleich gemacht, die halbe Stadt Offiziellen zufolge zerstört.

Was Glasenapp sieht, erinnert ihn an die Bilder des zerstörten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, viele Viertel glichen einer Mondlandschaft. Mehr als vier Monate dauerten die Kämpfe mit der Islamistenmilz Abu Bakr al Bagdadis an, die die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) ohne Hilfe der Anti-IS-Luftallianz wohl kaum gewonnen hätten. Auch die irakisch-kurdische Führung um Präsident Massud Barzani sprang über ihren Schatten – trotz der historischen Rivalität mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Abdullah Öcalans, dem die YPG folgt, schickte sie Kämpfer und Waffen zur Unterstützung.

So schaffte es die anfangs hoffnungslos verlorene Kurdenmiliz, den Belagerungsring um die Stadt zu sprengen. Vier von fünf Angriffen gegen die sunnitische Miliz seien rund um die Kurdenenklave im Norden Syrien geflogen worden, sagte vergangene Woche ein amerikanischer Militärsprecher. Nur so ließ sich das Blatt wenden zugunsten der anfangs lediglich mit leichten Waffen ausgestatteten Kurdenkämpfer.

Mehr als 1800 Menschen wurden bei der Schlacht getötet, die dem „Islamischen Staat“ im Falle eines Sieges einen Grenzübergang direkt in die Türkei gesichert hätten. Doch Anfang der Woche mussten die Dschihadisten den Rückzug antreten – und schlugen an anderer Stelle wieder zu: Von drei Fronten griffen sie die von irakisch-kurdischen Peschmerga-Einheiten gehaltene Ölstadt Kirkuk im Irak an. Immer wieder ist es der Sunnitenmiliz gelungen, auf Niederlagen flexibel zu reagieren. Auch im Umland von Kobane dauern die Kämpfe an.

In Kobane selbst sorgt derweil offenbar die türkische Regierung dafür, dass die kurdischen IS-Gegner nicht zügig an dringend benötigte Wiederaufbauhilfe und Medikamente, Heizstoffe und Nahrungsmittel kommen. Glasenapp von Medico International ist einer der wenigen Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen, die es in die zerstörte Stadt geschafft haben. Journalisten wurden von den türkischen Behörden teils nur für wenige Stunden eingelassen.

„Alle hier hoffen dringend, dass die Grenze aufgemacht und das Embargo gelockert wird“, sagt Glasenapp. Ein Sprecher Kobanes, Idriss Nassan, warnt vor einer „humanitären Katastrophe“, sollte nicht schnell Hilfe in die Stadt kommen. Ende vergangener Woche gelang es Medico, einen Krankenwagen an die kurdischen Helfer der Stadt zu übergeben – ein erster Schritt, um das Leid der Bevölkerung zu lindern.

An eine Rückkehr aber sei für Tausende Flüchtlinge vorerst nicht zu denken, warnt Anwar Muslim von der kurdischen Regierung des Kantons. Zu groß sei die Gefahr durch Seuchen; außerdem könne die Versorgung der Bevölkerung noch längst nicht wiederhergestellt werden.