Die
Welt, 2.2.2015
So sieht Kobani nach der Vertreibung des IS aus
Vier Monate wurde Kobani von der Terrormiliz Islamischer Staat belagert.
Nun ist die Stadt befreit - und gleicht einem Trümmerfeld. In der Region
toben die Gefechte gegen die IS-Kämpfer weiter.
Zerschossene und zerbombte Häuser, Schutt auf den Straßen, ausgebrannte
Fahrzeuge: Nach vier Monaten Belagerung durch die Dschihadisten-MilizIslamischer
Staat (IS) gleicht Kobani einem Trümmerfeld. Die nordsyrische Stadt an
der Grenze zur Türkei, die zu einem Symbol des Kampfes gegen den IS geworden
ist, konnte von kurdischen Kämpfern erfolgreich verteidigt werden. Doch
an eine Rückkehr der Zivilbevölkerung ist angesichts der Zerstörungen
vorerst nicht zu denken.
Am südlichen Stadtrand von Kobani scharen sich Mitglieder der Kurdenmiliz
YPG um einen Heizlüfter und suchen Schutz vor dem kalten Regen, der vom
Wind um die Häuser-Gerippe geweht wird. Aus der Ferne sind hin und wieder
Gewehrfeuer und Explosionen zu hören.
Der IS hat sich zwar aus Kobani zurückgezogen, hält aber noch Dörfer in
einigen Kilometern Entfernung besetzt. "Es war hart", sagt Musa,
ein 25-jähriger kurdischer Kämpfer aus dem Iran, der früher als Schmuggler
arbeitete und deshalb perfekt Türkisch spricht. Alle Regeln des Krieges
seien von den IS-Kämpfern außer Kraft gesetzt worden, sagt Musa.
"Die wollten unbedingt als Märtyrer sterben und ins Paradies kommen."
In Kobani wurde Musa als Scharfschütze eingesetzt; das Spezialgewehr aus
russischer Produktion trägt er immer noch stets bei sich. Er hat sich
eine Mütze tief ins Gesicht gezogen, ein dichter Bart verdeckt den Rest.
Im Dorf Khamlici bei Kobani zeigt Musa stolz die Leichen von neun IS-Kämpfern,
die er beim Rückzug der Dschihadisten vergangene Woche erschossen hat.
Kobani seit September belagert
"Den hier habe ich mit einem Kopfschuss erledigt, als er weglaufen
wollte", sagt Musa. "Die anderen waren nicht so schnell wie
er." Kurz nach dem Tod der IS-Kämpfer klingelte in der Kleidertasche
einer Leiche ein Handy. Musa ging ran. Am anderen Ende der Leitung war
die türkische Familie des toten IS-Mitgliedes, die sich Sorgen machte.
Musa überbrachte ihnen die Todesnachricht. "Sie flehten uns an, die
Leiche zu behalten, damit sie zur Bestattung in die Türkei geholt werden
kann. Deshalb liegt sie immer noch hier."
Normalerweise verbrennen die Kurden die Leichen ihrer IS-Gegner, um den
Ausbruch von Seuchen zu verhindern. Der IS hatte im September vergangenen
Jahres mit der Belagerung von Kobani begonnen und zeitweise große Teile
des Stadtgebietes unter seine Kontrolle gebracht.
Die Schlacht wurde zu einer symbolträchtigen Auseinandersetzung zwischen
den bis dahin sieggewohnten Dschihadisten und ihren Gegnern, darunter
die USA, die mit Luftangriffen auf Seiten der Kurden in die Kämpfe eingriffen.
Insgesamt sind schätzungsweise 1800 Menschen in den Gefechten um Kobani
getötet worden, zwei Drittel von ihnen sollen IS-Kämpfer gewesen sein.
Die hohen Verluste der Dschihadisten erklären sich nicht nur aus der Stärke
des kurdischen Widerstandes und aus den Luftangriffen der USA und ihrer
Alliierten, sondern auch aus der schieren Todesverachtung der IS-Truppen.
"Egal wie viele wir töteten, es kamen immer mehr", sagt der
junge Kurde Dijwan Geven, gerade einmal 20 Jahre alt.
Der Kampf geht weiter
Auch beim Vorstoß der kurdischen Truppe ins Umland von Kobani zeigt sich
die verbissene Gegenwehr des IS. Dennoch werde es nicht lange dauern,
bis alle Dörfer in der Gegend befreit seien, sagt Geven. Doch sobald der
IS endgültig aus der Region um Kobani vertrieben ist, beginnt die nächste
schwere Aufgabe für die Kurden.
Der Wiederaufbau der Stadt wird lange dauern und angesichts des Ausmaßes
der Zerstörungen nicht einfach vonstatten gehen können. Vielerorts liegen
Granaten und Raketen in den Straßen, auch ist die Rede von Häusern, die
vom IS beim Rückzug vermint worden sein sollen.
Fast 200.000 Menschen sind in den vergangenen Monaten vor dem Krieg in
Kobani in die benachbarte Türkei geflogen. Die Stadt für sie wieder bewohnbar
zu machen, ist eine Herkulesaufgabe. Scharfschütze Musa ist überzeugt,
dass auch diese Aufgabe gelöst werden wird. Die Rückkehr werde kommen,
sagt. "Aber nach so vielen Monaten des Krieges brauchen wir Zeit."
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