bundeswehr-journal,
2.2.2015
Parlament billigt Ausbildungsmission im Nordirak (Teil
1)
Berlin/Erbil (Irak)/Kobane
(Syrien). Mit deutlicher Mehrheit hat der Bundestag am vergangenen Donnerstag
(29. Januar) den Einsatz deutscher Soldaten im Nordirak beschlossen. Bis
zu 100 Bundeswehrangehörige können nach diesem Mandat dort nun kurdische
Peschmerga auf den Kampf gegen die Terrorbanden des „Islamischen Staates“
(IS) vorbereiten. Die militärische Ausbildung wird in Erbil, der relativ
sicheren nordirakischen Hauptstadt der Kurden, stattfinden. Andere Nationen
der von den USA geführten Allianz gegen die Dschihadisten wollen ebenfalls
irakische Sicherheitskräfte vor Ort ausbilden. Der Bundestag nahm den
Antrag der Bundesregierung für eine „Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte
der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“
vom 17. Dezember 2014 mit 457 Ja-Stimmen an. Es gab 79 Nein-Stimmen und
54 Enthaltungen. Das Parlament folgte damit einer Empfehlung des Auswärtigen
Ausschusses.
Das Mandat gilt bis zum 31. Januar 2016 und erlaubt es, maximal 100 deutsche
Soldaten im Raum Erbil beziehungsweise im Raum der Region Kurdistan-Irak
einzusetzen. In ihrem Antrag beschreibt die Bundesregierung den Schwerpunkt
der neuen Trainingsmission wie folgt: „Die Ausbildungsunterstützung leistet
auf Bitten der irakischen Regierung und im Rahmen der internationalen
Anstrengungen im Kampf gegen den IS einen Beitrag zum nachhaltigen Fähigkeitsaufbau
der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak sowie der
irakischen Streitkräfte.“
Die Peschmerga, die Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion im
Nordirak, werden jedoch keinesfalls von Bundeswehrsoldaten bei Kampfhandlungen
begleitet oder unterstützt.
Bundeswehrteams reisen nach Lehrgangsende sofort wieder nach Deutschland
Deutschland will im Februar mit der Ausbildung beginnen. Dazu nannte Spiegel
online am 29. Januar weitere Details: „Die Bundeswehr will den Einsatz
so flexibel wie möglich gestalten. So sollen die Trainer stets in kleinen
Teams in den Irak reisen, dort einen Lehrgang abschließen und wieder abreisen.“
Schon jetzt sind mehr als ein Dutzend Bundeswehrangehörige als „Verbindungselement“
zu den kurdischen Sicherheitskräften vor Ort. Sie haben in Erbil auch
die Peschmerga in die Bedienung bereits gelieferter deutscher Waffen eingewiesen.
Neben der militärischen Ausbildung und Beratung der Peschmerga werden
die deutschen Soldaten auch die Lieferungen humanitärer Hilfsgüter und
militärischer Ausrüstung in den Nordirak koordinieren (siehe auch hier
und hier).
Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dieser Irakmission werden nach Regierungsangaben bis zum
31. Januar 2016 rund 33,2 Millionen Euro betragen.
Mittlerweile schwere Verluste für die Terrormiliz „Islamischer Staat“
Die Parlamentsentscheidung wurde zu einem Zeitpunkt getroffen, der die
Extremistenmiliz IS erstmals entscheidend in der Defensive sieht. Im Kampf
gegen den IS sollen die USA bereits mehr als 6000 Kämpfer der Dschihadistenorganisation
bei Luftschlägen in Syrien und im Irak getötet haben. Diese Zahlen nannte
der US-Botschafter im Irak, Stuart E. Jones, in einem Interview mit dem
Nachrichtensender al-Arabiya. Der in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate)
ansässige Sender strahlte das Interview, in dem Jones auch von „mehr als
1000 zerstörten IS-Fahrzeugen im Irak“ sprach, am 22. Januar aus. Vertreter
des US-Verteidigungsministeriums bestätigten später die Angaben des Diplomaten.
Sollte die Schätzung über die getöteten Kämpfer des „Islamischen Staates“
der Realität entsprechen, wären dies wohl 30 Prozent aller IS-Milizionäre.
US-Geheimdienstinformationen zufolge verfügt der IS aktuell über 9000
bis 18.000 Kämpfer. Wie die Tageszeitung Die Welt am 24. Januar berichtete,
gehen Experten allerdings davon aus, dass die Islamisten Tausende Anhänger
anderer Milizen mobilisieren könnten.
Erfolgreiche Rückeroberung von Kobane durch kurdische Kräfte
Die Luftschläge der westlichen Anti-IS-Koalition sollen auch in der Führungsriege
der Islamisten hohe Verluste angerichtet haben. Nach US-Informationen
scheint die Hälfte der Führungskader bereits ausgeschaltet. Abu Bakr al-Baghdadi,
der Führer der Terrormiliz, wurde möglicherweise bereits vor etlichen
Wochen bei einem Luftangriff der Koalition verwundet. Dies sagte am 20.
Januar der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi der in London erscheinenden
panarabischen Tageszeitung al-Hayat. Es grenze an ein Wunder, so der Premier,
dass al-Baghdadi diese Attacke überlebt habe. Er halte sich jetzt „manchmal
im nordirakischen Mossul auf, meistens jedoch in Syrien“.
Bestätigt hat das US-Militär jetzt auch die Befreiung der nordsyrischen
Stadt Kobane. US-Generalleutnant James Terry erklärte vor der Presse:
„Kurdische Bodentruppen, die von unseren Lufttruppen unterstützt wurden,
haben die Stadt Kobane erfolgreich zurückerobert.“ Kurdische Kämpfer sowie
die Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory
for Human Rights, SOHR) hatten bereits am 26. Januar von der Rückeroberung
der seit Monaten umkämpften Stadt berichtet. In den östlichen Stadtvierteln,
die von den IS-Kämpfern vermint wurden, gibt es derzeit offensichtlich
noch letzte Widerstandsnester der Dschihadisten.
Letzten Zahlen der kurdischen Miliz in Syrien YPG zufolge sollen in der
Schlacht um Kobane 3710 IS-Anhänger getötet worden sein. Die Kurden beklagen
409 eigene Gefallene (Stand 29. Januar). Die Volksverteidigungseinheiten
YPG – Yekîneyên Parastina Gel – kontrollieren verschiedene mehrheitlich
kurdisch besiedelte Gebiete in Nordsyrien sowie Teile vorwiegend kurdisch
bewohnter Viertel in Aleppo und stellen eine De-facto-Armee in ihren Regionen
dar.
Deutsche Unterstützung bislang offensichtlich sehr wirksam
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen konnte sich vor Kurzem bei
ihrer Reise in den Irak selbst ein Bild von der bisherigen deutschen Unterstützung
für die Peschmerga machen. Nach politischen Gesprächen in der irakischen
Hauptstadt Bagdad am 10. Januar (unter anderem mit Staatspräsident Fuad
Masum) erörterte sie in Erbil am Tag darauf mit Masud Barzani, dem Präsidenten
der irakischen Kurdenregion, den weiteren Bedarf an Material und Ausbildung.
Ihre aktuellen Irak-Eindrücke schilderte die Ministerin anschließend am
15. Januar im Bundestag. An diesem Donnerstag stand hier die erste Lesung
zum Regierungsantrag „Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der
Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“ auf
der Tagesordnung. Von der Leyen berichtete: „Unsere bisherige Unterstützung
war wirksam. Kommandeure der Peschmerga haben uns eindrucksvoll geschildert,
wie wichtig zum Beispiel der Einsatz der MILAN-Rakete ist. Zuvor standen
sie dem IS machtlos gegenüber. Sie mussten ohnmächtig mit ansehen, wie
vom IS mit Sprengmaterial gefüllte Autos oder Lastwagen in die Peschmerga-Stellungen
hineingelenkt wurden – fahrende Bomben mit verheerender Wirkung.“ Mit
Hilfe der Panzerabwehrwaffe MILAN seien die Peschmerga in der Lage gewesen,
etliche solcher Selbstmordkommandos zu stoppen und den Feind auch auf
Distanz zu halten, so die Ministerin weiter. „Dies hat nicht nur viele
Menschenleben gerettet, sondern auch den Mut und die Zuversicht der Peschmerga
gehoben, den IS-Kämpfern tatsächlich standhalten zu können.“
Aufbau eines militärischen Ausbildungszentrums in Erbil
Präsident Barzani habe bei ihrem Besuch in Erbil im weiteren Verlauf des
Gesprächs dann auch „sehr deutlich“ gemacht, dass die Kurden nicht nur
Ausrüstung, sondern auch Ausbildung benötigen, sagte von der Leyen am
15. Januar weiter. „Die Peschmerga sind gut organisiert; sie sind entschlossen,
standzuhalten – aber es fehlt an Vielem. Das beginnt bei wintertauglichen
Stiefeln, geht über die MILAN, endet aber nicht zuletzt auch bei Sanitätsmaterial.
Sie haben uns geschildert, wie viele Peschmerga, wenn sie an der Front
verletzt werden, sterben, die nicht sterben müssten, weil basales Verbandsmaterial
fehlt und banale Techniken – wie beispielsweise das Abbinden bei einem
Durchschuss – nicht beherrscht werden. Es fehlt Material, es fehlt Wissen.“
Zum Schluss ihres Plädoyers für einen Nordirakeinsatz der Bundeswehr skizzierte
die Ministerin die Schwerpunkte der neuen Mission, über die der Bundestag
dann am 29. Januar abstimmte: „Wir wollen mit diesem Mandat ein Ausbildungszentrum
in Erbil aufbauen, das unter der Leitung der Kurden steht, aber dessen
Ausbildungsbereich wir koordinieren. Das geschieht gemeinsam mit anderen
europäischen Partnern und in Abstimmung mit der Allianz. Dabei richten
wir uns ausdrücklich nach dem Ausbildungsbedarf, den die Peschmerga anzeigen.
Das beginnt bei der Grundausbildung, geht über Minenabwehr bis hin zur
medizinischen Versorgung.“
Medienberichten zufolge werden sich neben Deutschland wohl weitere Nationen
an den Ausbildungs- und Unterstützungsleistungen in der nordirakischen
Region beteiligen. Bislang soll es sich dabei um Finnland, Italien, die
Niederlande, Norwegen und Schweden handeln.
Das bisherige Engagement Deutschlands bei der Bekämpfung der Terrormiliz
„Islamischer Staat“ beläuft sich nach Angaben der Bundesregierung „im
Bereich humanitäre Hilfe und strukturelle Übergangshilfe“ auf mehr als
100 Millionen Euro. Darüber hinaus hat die Bundesregierung bisher militärische
Ausrüstung im Wert von 46,6 Millionen Euro für die Sicherheitskräfte der
Regierung der Region Kurdistan-Irak geliefert.
Verfassungsjuristen dreier deutscher Ministerien bestärken Bundesregierung
Die neue Bundeswehrmission war und ist rechtlich umstritten, da das im
Regierungsantrag formulierte und letztendlich vom Parlament erteilte Mandat
formal nicht in einem „System der kollektiven Sicherheit“ unter dem Dach
der Vereinten Nationen (VN) oder im Auftrag der Europäischen Union beziehungsweise
der NATO stattfinden wird.
Die Bundesregierung stützt sich bei ihrer Argumentation auf Artikel 24
Absatz 2 des Grundgesetzes. Die entscheidende Passage: „Der Bund kann
sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit
einordnen.“ Bislang war fraglich, ob auch dann von einem „System kollektiver
Sicherheit“ gesprochen werden kann, wenn ein entsprechendes Mandat des
VN-Sicherheitsrates oder etwa ein Beschluss der NATO fehlt.
Verfassungsjuristen des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums
und des Auswärtigen Amtes sind sich mittlerweile allerdings sicher, dass
dies im Fall der neuen Ausbildungsmission der Bundeswehr im Nordirak möglich
ist. Ihre Argumentation: Die Bundeswehr handele als Teil der internationalen
Anstrengungen im Kampf gegen den IS. Der Sicherheitsrat der VN habe in
der Resolution 2170 (2014) festgestellt, dass vom „Islamischen Staat“
eine Bedrohung für Weltfrieden und internationale Sicherheit ausgehe.
Damit folge man der Aufforderung des Sicherheitsrates, wenn man den Irak
im Kampf gegen den IS unterstütze.
Rechtsexperten des Bundestages halten Mandatsbegründung für falsch
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einem Gutachten
zu einem anderen Ergebnis. Er hält die rechtliche Begründung des Nordirakeinsatzes
für falsch, zieht daraus aber nicht den Schluss, dass der Einsatz zugleich
auch verfassungswidrig ist.
Nach Auffassung des Dienstes ist der Artikel 24 Absatz 2 „keine taugliche
Rechtsgrundlage“. Die vorhandenen Erklärungen der Vereinten Nationen zum
Kampf gegen den IS reichten als Basis für die deutsche Beteiligung nicht
aus. Bei der Anti-IS-Allianz handele es sich um einen losen Zusammenschluss
und nicht um ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit.
Allerdings prüft das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes auch, ob
Artikel 87a Absatz 2 des Grundgesetzes als alternative Rechtsgrundlage
dienen könnte. Danach sind Bundeswehreinsätze auch außerhalb eines kollektiven
Sicherheitssystems verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie der „Verteidigung“
dienen. Der überwiegende Teil der Rechtsliteratur sehe in dieser „Verteidigung“
auch die sogenannte Drittstaaten-Nothilfe – die Verteidigung anderer Staaten.
Zumal angesichts der globalisierten Bedrohungslage durch den internationalen
Terrorismus auch ein Bezug zu den Sicherheitsinteressen Deutschlands bestehen
würde, so der Dienst. Einen Präzedenzfall des Bundesverfassungsgerichts
gebe es dazu allerdings noch nicht. Dies sei „verfassungsrechtliches Neuland“.
Im zweiten Teil unseres Beitrages hören wir hinein in die Bundestagsdebatte
im Vorfeld der namentlichen Abstimmung über das Nordirak-Mandat für die
Bundeswehr.
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