Berliner Zeitung, 4.2.2015

Journalistin Fréderike Geerdink
Selbstzensur ist keine Option

Von Frank Nordhausen

Der niederländischen Journalistin Fréderike Geerdink droht in der Türkei eine Haftstrafe wegen ihrer Kurdistan-Berichte.

Sie ist bekannt dafür, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Sie arbeitet für große niederländische und internationale Medien. Sie hat Sympathien für die Kurden in der Türkei und den Nachbarländern. In den Augen der türkischen Justiz macht das die niederländische Journalistin Fréderike Geerdink zu einer Terrorhelferin. Am Montag erhob die Staatsanwaltschaft in Diyarbakir Anklage gegen sie wegen „Propaganda für die PKK“, die verbotene kurdische Arbeiterpartei, mit der die Regierung in Ankara gerade einen Friedensdialog führt.
Bis zu fünf Jahre Haft

Geerdink drohen bis zu fünf Jahre Haft wegen einiger Posts und Weiterleitungen auf Twitter und Facebook vom September und Oktober 2014, in denen es um die belagerte syrisch-kurdische Stadt Kobane und die Kurden im Allgemeinen ging. Damals twitterte sie auch Fotos, die Kobane-Unterstützer mit Flaggen zeigten, auf denen der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan abgebildet war. Außerdem werden ihr einzelne Passagen von Kolumnen vorgeworfen, die sie für das linksliberale türkische Nachrichtenportal Diken.com.tr verfasste.

Wer den Stand der Pressefreiheit in der Türkei kennt, wird von der Anklage aufgrund des berüchtigten Anti-Terror-Strafrechtsparagrafen nicht wirklich überrascht sein. Außergewöhnlich ist, dass zum ersten Mal seit 1995, dem Höhepunkt der Kämpfe zwischen der Kurdenguerilla und türkischen Sicherheitskräften, wieder ein Auslandskorrespondent betroffen ist. „Ich habe selbstverständlich keine PKK-Propaganda gemacht. Ich mache Journalismus“, sagte Frederike Geerdink am Telefon dieser Zeitung. Das sehen ihre Auftraggeber offensichtlich genauso. Am Dienstag erschien im britischen Independent ein großer Artikel von ihr über die Kriegszerstörungen in Kobane.

Es gehe darum, eine kritische ausländische Stimme zum Schweigen zu bringen, sagt sie. „Die Justiz in der Türkei ist nicht unabhängig. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Ich bleibe da.“ Sie habe keine Vorstellung, ob sie freigesprochen, auf Bewährung oder zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werde. „Vor einem Monat hätte ich nicht geglaubt, dass ein achtköpfiges Antiterrorkommando meine Wohnung stürmen könnte, aber seit das passierte, halte ich alles für möglich.“
Als Journalist muss man nah dran sein

Geerdink arbeitete ab 2006 als freie Journalistin in Istanbul, spezialisierte sich dort auf kurdische Themen und zog im vergangenen Jahr als erste ausländische Korrespondentin in die Millionenstadt Diyarbakir im überwiegend kurdischen Südostanatolien. „Ich interessiere mich für Identitäten und Minderheitenrechte“, sagt sie. „Die Kurden sind die größte Minderheit in der Türkei, und als Journalist muss man nah dran sein, wenn man seine Arbeit richtig machen will.“ Sie hat 2013 ein Buch über einen Bombenangriff des türkischen Militärs publiziert, bei dem zwei Jahre zuvor nahe der Kleinstadt Uludere 35 kurdische Zivilisten starben. Im März erscheint es auch in der Türkei.

Bei der Razzia im Januar wurde sie vorübergehend festgenommen und mehrere Stunden lang von der Polizei über ihre angebliche PKK-Propaganda verhört. Pikanterweise trafen sich gleichzeitig in Ankara türkische Regierungsvertreter mit ausländischen Botschaftern und dem niederländischen Außenminister Bert Koenders. Staatspräsident Erdogan hielt eine Rede, in der er sagte: „Es gibt keine freiere Presse, weder in Europa noch sonst auf der Welt, als in der Türkei.“ Koenders war wie vor den Kopf geschlagen, als er von Geerdinks Festnahme hörte und drohte mit seiner Abreise, falls sie nicht umgehend freikäme – was dann geschah. Der Fall fand ein breites Echo in der internationalen Presse, beeindruckte Ankara aber wenig. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu lobte anschließend die „Unabhängigkeit der Justiz“. Und Geerdink überschrieb ihre nächste Blog-Kolumne tapfer mit: „Selbstzensur ist keine Option“. Der erste Verhandlungstag in ihrem Prozess ist am 8. April in Diyarbakir.

Kurdische Themen zu behandeln, birgt für kritische Journalisten in der Türkei nach wie vor ein hohes Risiko. Noch immer sind 31 von ihnen inhaftiert, wie der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc kürzlich einräumte. Den meisten wird Propaganda für die PKK vorgeworfen. Auch ausländische Journalisten sind nicht mehr tabu – im Oktober wurden drei deutsche Fotoreporter bei Recherchen in Diyarbakir vorübergehend festgenommen. Der türkische Zweig von Amnesty International erklärte am Montag: „Es vergeht selten eine Woche, in der kein Journalist angeklagt wird.“ Besonders beunruhigend sei, dass ausländische Kritik an der Einschränkung der Pressefreiheit auf Ankara immer weniger Eindruck mache. Die internationale Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen stuft die Türkei inzwischen auf Platz 154 von 180 ihres Medienfreiheits-Rankings ein.