Der Standard , 4.2.2015

Warnung vor Stimmungsmache gegen Armenier in der Türkei

Intellektuelle prangern einseitige Schulbücher 100 Jahre nach Genozid an

Ankara - "Unverblümten Hass und Feindseligkeit" gegen armenische Christen prangern türkische Journalisten, Künstler, Intellektuelle und Universitätsprofessoren in einer öffentlichen Erklärung an. Stein des Anstoßes sind laut Kathpress Schulbücher, die ausgerechnet im Gedenkjahr an den Armenier-Genozid von 1915 Stimmung gegen Armenier machten.

Verfasst wurde der Text, der von der armenischen Tageszeitung Agos und der liberalen türkischen Zeitung "Taraf" publiziert wurde, von dem Historiker Taner Akcam. 95 Persönlichkeiten unterstützen den Protest mit ihrer Unterschrift, unter ihnen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und die international angesehene Soziologin Nilüfer Göle. Statt Hass gegen religiöse Minderheiten sollten Schulbücher Frieden, Solidarität und Zusammenleben stärken, fordern die Unterzeichner. Es sei eine Schande, mit "derartigen Lügen und Verleumdungen die Jugend von Kindesalter an zu vergiften". Gefordert wird die sofortige Entfernung der betreffenden Schulbücher. Sie beleidigten das Andenken an "Hunderttausende Armenier der Türkei, die 1915 aus Kleinasien nach Syrien marschieren mussten und dabei fast alle umgekommen sind".

Einen freundlichen Akt gegenüber religiösen Minderheiten setzte unterdessen die Stadt Istanbul: Die kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel an Feiertagen wurde dort auf jüdische und christliche Feiertage ausgeweitet. Bisher war es nur Muslimen erlaubt, zu den Bayram-Festen und während des Fastenmonats Ramadan die U-Bahnen, Straßenbahnen, Autobusse und Schiffe gratis zu nutzen. Der Zugang wurde mit Sperren kontrolliert, die mit Jetons zu öffnen waren. Jetzt müssen sich Christen und Juden ausweisen, um zu ihren hohen Festtagen kostenfrei in Istanbul unterwegs zu sein.

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan fordert eine Reform des UN-Sicherheitsrates. Derzeit gebe es kein muslimisches Land als Ständiges Mitglied des höchsten Uno-Gremiums und damit keine Stimme, die den Islam vertrete. "Ist das gerecht?", fragte Erdogan in einer Rede an der Justizakademie in Ankara. (APA, red, DER STANDARD, 4.2.2015)