Tagblatt.lu, 5.2.2015

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"Wir brauchen mehr Hilfe aus dem Westen"

Der syrische Kurdenführer Salih Muslim weilt zurzeit in Westeuropa und wirbt um Unterstützung im Kampf gegen die IS-Gotteskrieger. Tageblatt.lu hat den kurdisch-syrischen Politiker getroffen.

Aus mehreren europäischen Städten, unter anderem auch aus Luxemburg, sind am vergangenen Montag Tausende Kurden in Richtung Strasbourg zu Fuß aufgebrochen. Die Kurden fordern die Freilassung des Pkk-Führers Abdullah Öcalan, welcher 1999 verhaftet worden war. Seine Organisation wurde 2002 vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg auf die Liste der „terroristischen Organisationen“ gesetzt.
Bildstrecken Kobane nach der SchlachtSchlacht um Kobane

Die Pkk kämpfte lange für ein autonomes Gebiet im südöstlichen Teil der Türkei. Zahlreiche Unterschriften werden während der Marsch-Aktion für die Petition "Freiheit für Abdullah Öcalan" gesammelt und am 15. Februar, also am Tag seiner Verhaftung, dem Europarat in Straßburg übergeben. Außerdem fordern die Protestler, dass die PKK von der „Terror-Liste“ entfernt wird.

Kampf gegen den IS

Vor allem aber der Kampf gegen die IS-Terrorgruppe liegt den marschierenden Kurden auf dem Herzen. Ihr Fußmarsch nach Strasbourg ist insbesondere ein Hilferuf an die westliche Welt. Sie wollen auf die prekäre Lage der Kurden in Syrien und Irak sowie auf die Bedrohung durch den IS aufmerksam machen. Die Kurden stehen nämlich an vorderster Front gegen die Gotteskrieger.

In diesem Zusammenhang hat sich Tageblatt.lu mit dem Führer der Partei der Demokratischen Union (PYD), die syrische Schwesterpartei der PKK, in Luxemburg-Stadt unterhalten.

Tageblatt.lu: “Herr Salih Muslim, Sie sind der syrische Kurdenführer, was wollen Sie mit den Märschen erreichen?“

Salih Muslim: "Die Lage in Syrien ist katastrophal. Obwohl wir die Stadt Kobane komplett von der IS-Terror-Gruppe befreit haben, fehlt es uns an allem. Kobane, meine Geburts- sowie Heimatstadt ist komplett zerstört und muss wieder aufgebaut werden. Dafür brauchen wir die Unterstützung des Westens. Während der Kämpfe wurde mein 22-jähriger Sohn in Kobane von der ISIS erschossen. Meine Frau ist während der Schlacht in der Stadt geblieben. Unser Haus wurde komplett dem Erdboden gleichgemacht. Der Kampf gegen den IS ist noch lange nicht vorbei. Dank der Tapferkeit unserer Männern und Frauen und der Bombenangriffe der Anti-IS Allianz, konnten die Barbaren vorerst verdrängt werden.“

“Die irakischen Kurden unter Führung von Masud Barzani haben moderne Waffen aus dem Westen erhalten, Sie nicht. Wünschen Sie sich ebenfalls High-Tech Waffen von den Amerikanern und Europäern?“

“Wir haben unsere Protestmärsche in Richtung Straßbourg gesetzt, nicht um an erster Stelle nach moderneren Waffen zu betteln. Um es klar auszudrücken, wir benötigen Unterstützung in allen Bereichen. Zum Beispiel brauchen unsere verwundete Kämpfer in Kobane medizinische Verpflegung in gut ausgerüsteten Krankenhäusern, wir brauchen humanitäre Hilfe sowie Finanzspritzen für den Wiederaufbau. Vor allem aber ist es uns wichtig, dass die Menschen im Westen über unser Leid und unseren langen Kampf gegen den IS in Kenntnis gesetzt wird. Wir Kurden kämpfen gegen einen Feind, der das Böse verkörpert und der eine Bedrohung für die ganze Menschheit darstellt. Unsere Söhne und Töchter sterben für die Freiheit und für euch (Westen). Wir wollen, dass Amerika und Europa uns hören und mehr unter die Arme greift. Die jetzige Hilfe aus dem Westen reicht nicht."

"Wie sieht die Zukunft für die syrischen Kurden aus? Wie denken Sie, dass es weiter geht?"

"Wir sind ein Volk, das demokratische Strukturen in "Westkurdistan", genannt auch Rojava, aufgebaut hat. Wir wollen mithilfe des Westens alles wiederaufbauen."

"Streben Sie eignetlich ein eigenes Kurdistan an?"

"Wir wollen jetzt keine neue Nation ausrufen, wo alle Kurden aus allen Teilen der Welt leben. Das wäre Landraub. Wir wollen gemeinsam mit allen Ethnien in Syrien vorerst alles wieder aufbauen, aber sicherlich ohne Assad. Zuviel Leid hat der syrische Führer seinen eigenen Landsleuten angetan. Zu groß sind die Wunden. Syrien soll nicht zerstückelt werden, sondern in einen dezentralisierten Staat auf demokratischen Pfeilern gebaut werden."

"Wie steht es mit der Türkei? Das Nato-Mitglied zeigte sich nicht gerade besonders kooperativ im Kampf gegen die IS-Milizen während der Belagerung von Kobane."

"In der Tat. Die Regierung in Ankara hat uns in der ersten Phase der Belagerung von Kobane keinen Nachschub von unseren Leuten aus der Türkei zukommen lassen. Viele unserer verwundeten Kämpfer verbluteten auf dem Schlachtfeld, weil sie nicht rechtzeitig medizinisch versorgt konnten. Der Nachschub an Medikamenten war komplett ins Stocken geraten. Erst Ende 2014 erlaubte Ankara, dass über sein Territorium kurdische Peshmerga-Kämpfer aus dem Nordirak zu uns stoßen konnten. Das Verhältnis zwischen den Kurden und der türkischen Regierung ist zerrüttet, obwohl wir uns mit den türkischen Bürgern eigentlich normal verstehen."

"Wie geht der Kampf nun in Syrien nach der Befreiung von Kobane weiter?"

"Wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns. Zuerst müssen wir die Nachschubwege der IS-Miliz stoppen. Viele Kämpfer wurden über die Türkei nach Syrien eingeschleust. Anschließend müssen wir unsere Städte befestigen. Das Gleiche soll auch die syrische Freiheitsarmee FSA mit ihren besetzten Städten tun, bevor irgendeine Offensive in Sicht ist. Viele Dörfer sind noch in der Hand der IS."

"Würden Sie jemals einen Pakt mit Assad eingehen? Ihnen wird vorgeworfen bereits mit Assad am Anfang des syrischen Bürgerkrieges kooperiert zu haben."

"Wir haben uns nicht mit Assad verbündet. Ich erinnere daran, dass Assad 2004 einen Kurdenaufstand im Norden blutig beendet hatte. Da wir uns ein demokratisches Syrien vorstellen, ist die Option eines Paktes mit Damaskus kategorisch auszuschließen. Wir wünschen uns ein friedliches Zusammenleben mit allen Konfessionen des Landes. Wir suchen keine Konfrontation, nur Frieden sowie Verbindungen zur Europäischen Union."