spiegel.de, 09.02.2015

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Deutscher Helfer in Syrien: "Kobane ist frei, aber zerstört"

Von Peter Maxwill

Der "Islamische Staat" ist aus Kobane vertrieben - doch die Kurdenstadt liegt in Trümmern. Der Deutsche Martin Glasenapp hilft beim Wiederaufbau. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die Türkei.

Hamburg - 134 Tage Schlacht haben tiefe Spuren hinterlassen, Kobane liegt in Trümmern. Erst vor wenigen Tagen konnten kurdische Kämpfer mit Luftunterstützung der US-geführten Koalition die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) aus der syrisch-türkischen Grenzstadt vertreiben. Zwischenzeitlich hatten die Dschihadisten mehr als die Hälfte des Ortes kontrolliert.

Seit der Befreiung vor zwei Wochen sind die ersten Einwohner zurückgekehrt. Mehr als hunderttausend Menschen hatten dort vor Beginn der Kämpfe ihre Heimat. Doch das Kobane, das sie jetzt vorfinden, ist nicht mehr die Stadt, die sie vor Monaten verlassen hatten. Knapp zwei Drittel der Häuser sind zerstört, komplette Straßenzüge liegen in Schutt und Asche.

Die ersten Helfer bemühen sich nun, gröbste Schäden zu beseitigen und Nothilfe zu leisten. Einer von ihnen ist Martin Glasenapp, der für die Hilfsorganisation Medico International in Kobane gearbeitet hat. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE schildert der 50-Jährige die Lage vor Ort.

Zur Person

Medico International
Martin Glasenapp arbeitet derzeit nach eigenen Angaben als einziger Deutscher für die Hilfsorganisation Medico International im syrischen Kobane. Dort hat der 50-Jährige unter anderem eine Blutbank mit eingerichtet und soll nun das Gesundheitssystem in der völlig zerstörten Stadt wieder aufbauen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Glasenapp, Sie waren bis Freitag in Kobane - was konnten Sie dort ausrichten?

Glasenapp: Zunächst nicht sehr viel, die Stadt ist ja erst seit wenigen Tagen vom "Islamischen Staat" befreit. Zusammen mit der städtischen Gesundheitskommission habe ich mir das Gesundheitssystem angeschaut - und jetzt überlegen wir, wie wir die völlig zerstörte Infrastruktur in Kobane wieder aufbauen können.

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht es dort derzeit aus?

Glasenapp: Die Stadt ist völlig zerschossen, es gibt noch Sprengfallen, Blindgänger, und in einigen Bezirken liegen Leichen herum. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist ganz gut, aber es mangelt an Baumaterial und Räumgeräten.

SPIEGEL ONLINE: Warum werden denn nicht über die nahe Grenze zur Türkei Hilfsgüter in die Stadt gebracht?

Glasenapp: Weil die Türken bei Grenzkontrollen äußerst restriktiv vorgehen. Journalisten können zwar für einige Stunden in die Stadt. Aber als wir in der vergangenen Woche einen Krankenwagen hierherbrachten, hatten uns die türkischen Behörden zuvor vier Wochen lang an der Grenze aufgehalten. Wir sind immer stark vom zuständigen Gouverneur auf der türkischen Seite der Grenze abhängig und müssen oft lange verhandeln.

SPIEGEL ONLINE: Also müssten die Türken die Grenze komplett öffnen?

Glasenapp: Ja, unbedingt. Wir brauchen einen humanitären Korridor für medizinisches Material und Baustoffe, um die Stadt wieder aufbauen zu können. Im Moment kann von einer offenen Grenze insbesondere für Hilfsgüter aber nicht die Rede sein. Im Umland dauern gleichzeitig noch immer die Kämpfe gegen den IS an.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie von diesen Kämpfen mitbekommen?

Glasenapp: Ich habe sehr viele Kämpfer und Kämpferinnen gesehen, und es gibt regelmäßig Beerdigungen. Gleichzeitig fahren jeden Tag Frauen und Männer von hier aus zur Front, es kehren aber auch ständig Verletzte zurück in die Stadt.

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Kobane: Rückkehr in Ruinen
SPIEGEL ONLINE: Wie werden die verletzten Kämpfer versorgt?

Glasenapp: Kobane ist frei, aber zerstört. Die Krankenhäuser sind schwer beschädigt, es existieren nur noch zwei Kellerhospitäler, in denen eine Handvoll Ärzte seit fünf Monaten ununterbrochen arbeiten. Es gibt also nur eine Notversorgung.

SPIEGEL ONLINE: Wo können sich die Einwohner von Kobane denn überhaupt derzeit aufhalten?

Glasenapp: Viele sind noch gar nicht wieder in der Stadt. Auf der türkischen Seite der Grenze drängen Zehntausende darauf, heimzukehren. Die Stadtverwaltung bittet sie aber, noch nicht zu kommen - weil es ja noch gar keine Infrastruktur für diese Menschen gibt.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann der Wiederaufbau gelingen?

Glasenapp: Ein erster Schritt wäre die Errichtung einer Zeltstadt. Wenn Zehntausende zurückkommen, braucht es nicht nur eine funktionierende Versorgung mit Strom, Wasser und Nahrungsmitteln - sondern auch eine ganz neue medizinische Infrastruktur. Im Moment ist die Stadtverwaltung aber noch damit beschäftigt, die Schäden zu registrieren und den Wiederaufbau zu planen.

Mitarbeit: Christoph Sydow