Neue Zürcher Zeitung, 10.02.2015

http://www.nzz.ch/international/tuerkei-spitzenreiter-bei-tweet-zensur-1.18479913

Twitters Transparency Report

Türkei Spitzenreiter bei Tweet-Zensur

Onur Ogul

Immer öfter verlangen Behörden die Löschung von Inhalten auf Twitter. Dies zeigt ein neuer Bericht des Kurznachrichtendienstes. Die meisten Aufforderungen stammen aus der Türkei.

Twitter hat in der zweiten Jahreshälfte des vergangenen Jahres rund 84 Prozent mehr Aufforderungen zur Entfernung von Inhalten erhalten als in der vorangegangenen Periode. Dies wird im am Montag veröffentlichten «Transparency Report» von Twitter ersichtlich.

Türkische Twitterer im Visier

Besonders Twitterer in der Türkei werden immer öfter Opfer von Zensur. Von den 796 Aufforderungen zur Entfernung von Inhalten stammten mehr als die Hälfte aus der Türkei. Twitter gibt zu: Bei der Hälfte der Aufforderungen sei ein Teil oder der gesamte beanstandete Inhalt entfernt worden. Jedoch wird darauf hingewiesen, dass sich Twitter in 70 Prozent der Fälle juristisch gegen die verlangte Löschung gewehrt habe.

Seit vergangenem Jahr kursieren in sozialen Netzwerken Korruptionsvorwürfe gegen Vertreter der Regierungspartei AKP . Der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan liess daraufhin den Kurznachrichtendienst temporär sperren und erhöhte den Druck auf Plattformen wie Twitter und Youtube. Twitter gab dem Druck durch die Behörden nach und wurde aktiv. Mehrere Accounts und Tweets wurden auf Geheiss der Behörden und Gerichte gesperrt. Die unerwünschten Tweets betrafen nach Informationen eines türkischen Bloggers hauptsächlich politische Enthüllungen, Kritik an der Regierung, Pornografie und kritische Medien.

Deutschland kämpft mit verbotenen Symbolen

Weiter aufgefallen sind Russland und Deutschland. Einige der 91 Aufforderungen Russlands (plus 184 Prozent) stützten sich laut Twitter auf den Gesetzesartikel 398, der es den russischen Behörden beispielsweise erlaubt, ohne Gerichtsbeschluss Websites zu sperren. Twitter sei Aufforderungen, Regierungskritik oder Inhalte betreffend friedliche Demonstrationen zu löschen, jedoch nicht nachgekommen. Dennoch habe Twitter laut Bericht in 13 Prozent der Aufforderungen kooperiert.

Deutschland habe im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2014 in der zweiten nun rund 2000 Prozent mehr Aufforderungen zur Entfernung von Inhalten gestellt (total 43). Der rasante Anstieg stamme aus Anstrengungen des Jugendschutzes und aus dem Kampf gegen verbotene Symbole sowie Diskriminierung im Netz, schreibt Twitter. Über einem Drittel der Aufforderungen Deutschlands sei Twitter gefolgt.
Immer mehr Anfragen bezüglich Account-Informationen

Der Report weist weiter Zahlen über die Anfragen nach Account-Informationen aus. Solche würden üblicherweise im Zusammenhang mit polizeilichen Untersuchungen gestellt. Die Zahl solcher Anfragen sei in der zweiten Jahreshälfte 2014 um rund 40 Prozent gestiegen. Spitzenreiter in dieser Angelegenheit sei Amerika. Über die Hälfte der 2871 Anfragen stammten von dort, und in 80 Prozent der Anfragen habe Twitter den Behörden Informationen preisgegeben. Mit 356 Anfragen folgt wiederum die Türkei, und Japan liege mit 288 Anfragen auf dem dritten Platz.

Keine Informationen über Accounts an Russland

Bezüglich Accounts habe neuerdings auch Russland versucht, an Informationen zu gelangen. Twitter schreibt, dass auf keine der 108 Anfragen Informationen herausgegeben worden seien. Denn die Anfragen sollen sich ebenfalls auf ein umstrittenes Gesetz stützen, das laut Twitter die freie Meinungsäusserung tangiere. Das Gesetz zwingt Betreiber von Websites und Blogs zur Registrierung bei den Behörden, falls sie Informationen verbreiten und damit täglich über 3000 Besucher anlocken.

Bei der Betrachtung der Zahlen muss bedacht werden, dass Twitter Anfragen nicht aufführt, wenn dies von Gesetzes wegen nicht publik gemacht werden darf.