Neue Zürcher Zeitung, 13.02.2015 http://www.nzz.ch/wirtschaft/ein-steilpass-fuer-die-tuerkei-1.18482128 Ein Steilpass für die Türkei kam. Athen ⋅ Der Vorschlag der Russen, die Pipeline «South Stream» in eine «Turkish Stream» zu verwandeln, kam für die türkische Regierung wie ein Geschenk vom Himmel. Zum einen ist im schnell wachsenden Schwellenland der Energiebedarf im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich gestiegen, zum anderen will sich die Türkei als europäische Energie-Drehscheibe positionieren. Vorangetrieben wird die Kooperation von zwei autoritären Staatspräsidenten, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin, die sich beide von der EU schlecht behandelt fühlen. Allerdings hat Ankara von Anfang an signalisiert, dass man nicht allein von russischem Erdgas abhängig sein will. Schon heute stammen 60% der Gaslieferungen aus Russland. Die Türkei ist nach Deutschland der zweitwichtigste Abnehmer des russischen Erdgaskonzerns Gazprom. Daher werden von türkischer Seite gemeinsam mit Aserbaidschan die Arbeiten für die Transanatolische Pipeline (Tanap) vorangetrieben. Von der angepeilten Liefermenge der Tanap von zunächst 16 Mrd. m³ pro Jahr sollen ab 2019 immerhin 6 Mrd. m³ in die Türkei strömen. Der Baubeginn ist für April 2015 angekündigt. Wie viel Erdgas Ankara über
Turkish Stream von Gazprom beziehen wird, dürfte vom Ergebnis von Preisverhandlungen
abhängen. Die Regierung dringt auf Ermässigungen, da die türkischen Abnehmer
bis anhin erheblich mehr bezahlen mussten als die deutschen. Ein vom russischen
Präsidenten offerierter Discount von 6% wurde offenbar als ungenügend
zurückgewiesen. Die Türkei lässt durchblicken, dass man mehrere Pfeile
im Köcher habe, nicht zuletzt wegen der geografischen Lage. Hinzu kommt,
dass die türkische Energieversorgung weiter diversifiziert wird. Ungeachtet
des Erdbebenrisikos plant die Türkei Mitte dieses Jahres den Spatenstich
für das erste Kernkraftwerk des Landes – Partner bei diesem ambitiösen
Projekt ist der russische Staatskonzern Rosatom.
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