welt.de, 15.02.2015

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Busfahrer vergewaltigt und verbrennt Studentin

In der Türkei wurde eine junge Studentin von einem Busfahrer entführt, getötet und verbrannt. Der Fall könnte das Land verändern: Nun gehen Frauen auf die Straße und widersetzen sich auch dem Imam.

Von Boris Kálnoky , Istanbul Korrespondent

Boris Kálnoky

Am 11. Februar kaufte die 20-jährige Psychologiestudentin Özgecan Aslan nach ihren Vorlesungen in der Universität noch ein paar Dinge ein. Schließlich stieg sie in einen "Dolmus", einen Minibus, um nach Hause zu fahren. Eine Freundin fuhr mit, stieg dann aber aus. Sie war die letzte Augenzeugin, die Aslan lebend sah.

Außer der Studentin war kein Passagier mehr im Bus. Der Fahrer, inzwischen identifiziert als der 26-jährige S. A., fuhr Aslan aber nicht nach Hause, sondern an einen entlegenen Ort. Dort versuchte er, sie zu vergewaltigen. Die junge Frau wehrte sich, hatte für einen solchen Fall sogar Pfefferspray dabei, das sie dem Täter ins Gesicht sprühte. Das machte ihren Angreifer wütend: Mit einem Messer stach er auf die Studentin ein und erschlug sie dann mit einer Eisenstange.

Der Mann versuchte, seine Tat zu vertuschen. Er schnitt der Frau beide Hände ab. So wollte er verhindern, dass die Ermittler seine DNA unter ihren Fingernägeln fänden, denn Aslan hatte ihm auch das Gesicht zerkratzt. Danach lud er die Leiche in den Minibus und fuhr nach Hause, wo er seinen Vater und einen 20-jährigen Freund bat, ihm bei der Entsorgung zu helfen. Sie verbrannten die Studentin in einem Flussbett in der südtürkischen Provinz Mersin.

Busfahrer gerät schnell unter Verdacht

Als Aslan nicht wie verabredet nach Hause kam, gingen ihre Eltern zur Polizei, wie die türkische Zeitung "Hürriyet" berichtet. Der Busfahrer geriet nach der Aussage der Freundin schnell in Verdacht. Bei Verkehrskontrollen ging den Ermittlern der mutmaßliche Mörder ins Netz, und die Indizien waren erdrückend: Im Fahrzeug fanden sie Blut, und sogar Aslans Hut hatten die Täter im Wagen übersehen. Der Vater und der Freund des Täters – die geholfen hatten, die Leiche zu entsorgen – wurden ebenfalls vernommen und gestanden bald alles.

So weit, so furchtbar. Aber letztlich war Özgecan Aslan "nur" eine von täglich fünf Frauen, die in der Türkei umgebracht werden. Zumeist von ihren eigenen Männern oder Freunden, Verlobten, Vätern, Brüdern oder Cousins. Die Tendenz ist steigend, seit die Partei AKP regiert – entweder, weil die islamischen Werte, die sie propagiert, von manchen Teilen der Bevölkerung als Recht auf "Ehrenmord" missverstanden werden oder weil mehr Morde als solche gemeldet und erkannt werden.

Aber etwas war diesmal anders: Die Tat war so entsetzlich, dass sie das ganze Land erschütterte. Es findet sich nicht einmal ein Rechtsanwalt, um den Täter zu verteidigen. Gleichzeitig gehen überall im Land Frauen auf die Straße, um gegen Männergewalt zu demonstrieren. Bei der Beerdigung – am Valentinstag, 14. Februar – kam es sogar zu Tumulten. Der Imam befahl den Hunderten anwesenden Frauen, sich hinten in den Trauerzug zu stellen. Doch sie ließen sich das nicht bieten, nahmen den Sarg und trugen ihn selbst zum Grab.

Frauen tragen angeblich zu "aufreizende Kleidung"

Der Fall hat inzwischen auch die Politik erreicht: Staatspräsident Erdogan rief zwar bei Aslans Familie an, um sein Beileid zu bekunden. Doch die Politik seiner Partei AKP gilt als offen frauenfeindlich. Mitglieder, die in der Regierung sitzen, sowie die regierungsfreundliche Presse unterstellen Frauen, selbst schuld an Vergewaltigungen zu sein, weil sie zu "aufreizend bekleidet" seien. Stattdessen, so die Forderung, sollten sie lieber Kopftücher tragen.

Aus Kreisen der AKP sind auch Rufe nach der Wiedereinführung der Todesstrafe zu hören. Es ist ebenfalls das, was Aslans Mutter in Interviews fordert – sie will den Täter auch foltern lassen, bevor er qualvoll stirbt. Ihm soll genau das zuteilwerden, sagt sie, was ihre Tochter erlitt.

So wird der Mord auch im islamischen Lager für den Wahlkampf ausgeschlachtet, denn im Juni stehen Parlamentswahlen an. Eine Wiedereinführung der Todesstrafe ist allerdings juristisch kaum möglich, da die Türkei an internationale Abmachungen gebunden ist. Zudem stünde dies einem EU-Beitritt im Wege. Sollte es dennoch wieder zu Exekutionen kommen, dann wäre das ein willkommenes Argument für jene in Europa, die die Beitrittsverhandlungen stoppen wollen.