Die Presse, 23.02.2015 http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4669215/Turkei-verlegt-Heiligtum-in-Syrien-aus-Angst-vor-IS?_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/index.do Türkei verlegt Heiligtum in Syrien aus Angst vor IS Türkische Panzer und Soldaten durchquerten Syrien, um ein osmanisches Grabmal zu räumen - angeblich aus Angst vor der IS-Zerstörungswut. Damaskus spricht von "Aggression". 22.02.2015 | 18:28 | Von unserer Korrespondentin Susanne Güsten (Die Presse) Istanbul. Knapp vier Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien ist die Türkei erstmals mit ihrer Armee ins Nachbarland einmarschiert – aber nicht, um zu kämpfen, sondern um Soldaten und die sterblichen Überreste eines mittelalterlichen Herrschers vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Sicherheit zu bringen. Fast hundert Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie 572 Soldaten überquerten in der Nacht zum Sonntag die Grenze, um etwa 30 Kilometer tief auf syrischem Boden rund 40 Wachsoldaten vom Grabmal des Süleyman Schah, des Großvaters des osmanischen Reichsgründers Osman, außer Gefahr zu bringen. Die Soldaten nahmen Süleymans Sarg und andere Gegenstände beim Rückzug in die Türkei mit und zerstörten die Gebäude des Grabmals auf einer Halbinsel im Euphrat, um sie für den IS unbenutzbar zu machen. Bei dem türkischen Einsatz gab es keine Auseinandersetzungen mit dem IS, doch starb ein türkischer Soldat bei einem Unfall. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sprach trotzdem von einer gelungenen Aktion. Die Opposition kritisierte das Vorgehen: Ankara habe aus Furcht vor dem IS türkisches Hoheitsgebiet aufgegeben. Der Ort des Grabmals zählt laut einem Vertrag aus dem Jahr 1921 als türkisches Territorium; in den vergangenen Monaten war die Gegend um das Monument unter die Herrschaft des IS geraten. Die Jihadisten betrachten Gedenkstätten wie das Grabmal als Orte des Götzendienstes und zerstören sie, wo sie können. Mehrmals hat die türkische Führung gedroht, ein Angriff auf das Grabmal und die Wachsoldaten würde mit militärischer Gewalt beantwortet. Nun aber sei zum ersten Mal in der Geschichte der Republik türkisches Staatsgebiet aufgegeben worden, erklärte die säkularistische Oppositionspartei CHP. Die Nationalistenpartei MHP schimpfte, nun bleibe nur die Frage, welcher Teil des Staatsgebietes wohl als Nächstes preisgegeben werde. Beim Vorstoß zu der Exklave durchquerten die türkischen Truppen die nordsyrische Stadt Kobane, wo kurdische Kämpfer mit Unterstützung der USA im Jänner eine viermonatige Belagerung des IS beendet hatten. Die Türkei hatte sich damals geweigert, den Kurden in Kobane zu helfen – nun musste die Türkei die Erlaubnis der Kurden einholen, um das Gebiet passieren zu können. Davutoğlu war angesichts der Kritik bemüht, Zweifel am Patriotismus der Regierung zu zerstreuen. So erklärte er, die türkische Armee habe die sterblichen Überreste von Süleyman Schah zwar in die Türkei gebracht, doch werde der Herrscher bald an einer anderen Stelle in Nordsyrien zur Ruhe gelegt; die türkische Fahne sei dort bereits gehisst worden. Offenbar betrachtet Ankara ab sofort die geplante neue Ruhestätte als türkisches Territorium. Einige Experten erklärten, Ankara habe aus Vorsicht gehandelt und so möglicherweise größere Probleme verhindert. Doch Regierungskritiker verurteilten die Militäraktion auf das Schärfste. Sie sprachen von einem politischen Offenbarungseid. Die Aktion besiegle das Scheitern der türkischen Syrien-Politik, schrieb der Journalist Ugur Gürses auf Twitter. Ankara dringt seit dem Ausbruch des Aufstandes gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad im März 2015 auf einen Sturz der Regierung in Damaskus. Westliche Staaten werfen der Türkei vor, auch mit radikalislamischen Gruppen kooperiert zu haben, um dieses Ziel zu erreichen. Trotz aller türkischer Bemühungen ist Assad nach vier Jahren Krieg nach wie vor am Ruder. Nach Ansicht von Kritikern ist die Evakuierung des Grabmals zudem ein weiteres Beispiel dafür, dass sich Ankara dem Druck des IS beugt. Im vergangenen Jahr habe sich die Türkei bei der Eroberung des türkischen Konsulats im irakischen Mossul durch den IS von den Jihadisten überrumpeln lassen, kommentierte der regierungskritische Journalist Mehmet Baransu. Damals seien türkische Diplomaten in Geiselhaft geraten, jetzt ziehe sich die Türkei vom Süleyman-Grabmal zurück und wolle das auch noch als Erfolg verkaufen. Die syrische Regierung sprach von einem Angriff der Türkei auf ihr Staatsgebiet und erklärte, Ankara habe Damaskus über die Militäraktion zwar informiert, dann aber ohne Erlaubnis Syriens gehandelt. Die Tatsache, dass die Türkei ungehindert zu der Exklave im Machtbereich des IS vorstoßen konnte, sei ein Zeichen für die engen Verbindungen zwischen Ankara und dem IS. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2015) |