Die Presse, 02.03.2015

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Öcalan ruft PKK zur Entwaffnung auf

Der inhaftierte Führer der kurdischen Untergrundbewegung richtet Appell an seine Anhänger. Das nährt Gerüchte über Geheimdeal zwischen Öcalan und Ankara.

Von unserer Korrespondentin SUSANNE GÜSTEN (Die Presse)

Istanbul. Nach mehr als 30 Jahren Krieg im türkischen Kurdengebiet ist der Friede möglicherweise ein Stück nähergerückt. Der inhaftierte Chef der kurdischen Untergrundorganisation PKK, Abdullah Öcalan, hat seine Guerrillatruppen aufgerufen, den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat einzustellen. Die Regierung in Ankara feiert den Appell als Meilenstein auf dem Weg zu einem friedlichen Ende des Kurdenkonflikts. Doch Öcalans Aufruf stößt nicht überall auf ungeteilte Freude. Die PKK macht einen Gewaltverzicht von konkreten Schritten Ankaras abhängig.

Für den türkischen Premier, Ahmet Davutoğlu, wäre ein Friedensschluss vor der Parlamentswahl am 7. Juni ein möglicherweise wahlentscheidender Pluspunkt. Ein Ende des langen Krieges, in dem seit 1984 mehr als 40.000 Menschen ihr Leben verloren haben und der in der Gesellschaft der Türkei tiefe Wunden geschlagen hat, steht laut Meinungsforschern auf der Wunschliste der Wähler auf einem der obersten Plätze.

Davutoğlu muss jedoch vorsichtig agieren, weil die türkischen Nationalisten darauf lauern, Zugeständnisse an die PKK als „Verrat am Vaterland“ zu brandmarken. Öcalan rief die PKK dazu auf, den endgültigen Gewaltverzicht bei einem Kongress im Frühjahr zu besiegeln. Auf Weisung Öcalans hält die PKK seit knapp zwei Jahren einen Waffenstillstand ein. Öcalan verhandelt seit Ende 2012 auf der Gefängnisinsel Imrali mit dem türkischen Geheimdienst.


Forderungen an Regierung

Premier Davutoğlu sprach von einer neuen Phase im Friedensprozess, Präsident Recep Tayyip Erdoğan von einer „sehr, sehr wichtigen“ Entwicklung. Zugleich mit seinem Appell an die PKK erneuerte Öcalan seine Forderung an Ankara, politische Reformen einzuleiten. Dazu gehören eine Neufassung des Staatsbürgerbegriffs, der bisher alle ethnischen Unterschiede negiert, ein Umbau der Sicherheitsorgane und mehr Freiheitsrechte. Zudem fordern die Kurden mehr regionale und kulturelle Selbstbestimmung.

Bisher zeigt Ankara keine Bereitschaft, den Kurden dabei entgegenzukommen. Doch für die PKK stehe fest, dass Ankara nach Öcalans „historischem“ Appell konkrete Schritte unternehmen müsse, erklärte die politische Organisation der Rebellengruppe, die KCK.

Weil bisher konkrete Gegenleistungen des türkischen Staates fehlen, wird über etwaige Geheimabsprachen zwischen Öcalan und dem Geheimdienst spekuliert. Warum sollte der PKK-Chef einen dramatischen Appell an seine eigenen Leute richten, wenn sich Ankara nicht bewegt?, fragen sich Kommentatoren. Schon seit einiger Zeit gibt es Gerüchte über eine Freilassung des PKK-Chefs, was besonders die türkischen Nationalisten in Rage versetzen würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2015)