junge Welt, 03.03.2015

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Großoffensive gegen IS

Irakische Armee und schiitische Milizen greifen Islamistenmiliz in Tikrit an. BBC berichtet über Beteiligung iranischer Einheiten

Von Christian Selz

Mit etwa 30.000 Soldaten, unterstützt von Kampfjets und Hubschraubern hat die irakische Armee am Montag morgen eine Großoffensive auf Tikrit begonnen. Die 170 Kilometer nördlich von Bagdad gelegene Stadt wird seit Juni vergangenen Jahres von der Dschihadistenorganisation »Islamischer Staat« (IS) kontrolliert. An dem Angriff auf die Islamisten beteiligten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP auch Polizeikräfte und »freiwillige Kämpfer«. Wie die New York Times andeutete, hatten die USA die Offensive dagegen noch herauszögern wollen. Ob US-Einheiten dennoch an Luftangriffen auf Tikrit beteiligt waren, blieb am Montag unklar. Irakischen Medien zufolge rückten die Truppen bereits im Verlauf des Tages in den Ort Al-Dur südlich von Tikrit vor. Der IS veröffentlichte im Internet jedoch Bilder, die das widerlegen sollten.

Tikrit, der Geburtsort des 2006 hingerichteten Expräsidenten Saddam Hussein, liegt an der Hauptverbindungsroute zwischen Bagdad und der Millionenstadt Mossul im ölreichen Norden des Landes. Die Metropole hatte der IS im Juni ebenfalls eingenommen, nachdem die irakischen Streitkräfte und kurdische Peschmerga-Truppen sie der Terrormiliz nahezu kampflos überlassen hatten. Der jetzige Vorstoß auf Tikrit gilt als Voraussetzung für die Rückeroberung des Nordens. Vor der US-geführten Invasion 2003 hatte Tikrit 260.000 Einwohner und ist nach Mossul die zweitgrößte vom IS gehaltene Stadt, auch wenn der Großteil der Bevölkerung inzwischen geflohen sein soll.

Wie die britische Tageszeitung Guardian am Montag berichtete, rief der irakische Premierminister Haider Al-Abadi zu »größtmöglicher Sorge beim Schutz von zivilem Leben und Eigentum« auf. Al-Abadi hatte die Offensive am Sonntag in der zwischen Bagdad und Tikrit gelegenen Stadt Samarra angekündigt, wo der IS tags zuvor bei zwei Selbstmordanschlägen mindestens 14 Menschen getötet hatte. Seinem Aufruf waren Berichte vorausgegangen, wonach an der Offensive beteiligte schiitische Milizen sunnitische Zivilisten exekutiert haben sollen. Schiitische Kämpfer berichteten der britischen BBC derweil, der IS habe eine unbekannte Zahl von Jugendlichen als Geiseln genommen und drohe, diese zu töten, sollten die Einheiten der Regierungsoffensive in Tikrit einrücken.

Die Bevölkerung von Tikrit ist mehrheitlich sunnitisch. Etliche von lokalen Eliten kontrollierte Milizen hatten dort an der Seite des IS gekämpft und der Terrororganisation so maßgeblich die Einnahme der Gebiete ermöglicht. Al-Abadi versucht nun, die marginalisierten Sunniten wieder für seine Zentralregierung zu gewinnen. Die New York Times berichtete am Montag unter Berufung auf »irakische Offizielle«, dass an der Regierungsoffensive gegen den IS auch 700 bis 1.000 »sunnitische Stammeskämpfer« beteiligt seien. Al-Abadi hatte die sunnitischen Kämpfer in Tikrit am Sonntag aufgerufen, sich vom IS loszusagen und ihnen Straffreiheit angeboten, sollten sie diese »letzte Chance« nutzen.

Den größten Teil der von AFP als »freiwillige Kämpfer« zusammengefassten Verbände stellen jedoch die etwa 4.500 Mann starken schiitischen Milizen. Die BBC berichtete am Montag mit Verweis auf die Aussagen eines schiitischen Milizenkommandeurs gar, dass iranische Soldaten der Al-Quds-Einheit an der Offensive beteiligt seien. Teheran hatte bisher stets betont, lediglich Militärausbilder für die irakische Armee sowie für kurdische Peschmerga und schiitische Milizen ins Nachbarland entsandt zu haben.