junge Welt, 04.03.2015

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»Die Leichen wurden den Familien nicht übergeben«

Nach einem Hungerstreik gegen die Haftbedingungen wurden im Iran politische Gefangene hingerichtet. Gespräch mit Fuad Zindani

Interview: Martin Dolzer

Fuad Zindani ist Vorstandsmitglied der Föderation der Politischen Gefangenen in Kurdistan (FPPK ) und der Organisation gegen Folter und Hinrichtung (ORTE)

Berichten zufolge wurden im Iran vergangene Woche drei kurdische politische Gefangene hingerichtet, bei drei weiteren die Hinrichtung vorbereitet. Können Sie dazu Genaueres sagen?

Die Föderation der Politischen Gefangenen in Kurdistan (FPPK ) und die Organisation gegen Folter und Hinrichtung (ORTE) haben die Information erhalten, dass der iranische Geheimdienst am 18. Februar sechs politische Gefangene an einen unbekannten Ort gebracht hat. Es handelt sich um Saman Naseem, dem die Mitgliedschaft in der kurdischen Partei des Freien Lebens in Kurdistan PJAK vorgeworfen wird, Yuns Aqayan, der dem Jarsani-Glauben angehört, Isa Pur und Sirwan Njawi, beide ebenfalls vermeintliche Mitglieder der PJAK sowie die Brüder Habib und Ali Afshari, beide von der Komala-Partei. Am 19. Februar bekamen die Familien von Habib und Ali Afshari eine Mitteilung vom Geheimdienst, dass sie hingerichtet worden seien, eine Trauerzeremonie jedoch verboten sei. Bis heute sind den Familien die Leichen nicht übergeben worden.

Kann man davon ausgehen, dass alle sechs politischen Gefangenen hingerichtet wurden?

Das ist nicht sicher. Unseren Informationen zufolge leben Yuns Aqayan, Isa Pur und Sirwan Njawi noch. Zu Saman Naseem gibt es widersprüchliche Angaben seitens der iranischen Behörden. Am 19. Februar wurde offiziell veröffentlicht, dass er hingerichtet worden sei, einen Tag später gab es eine Nachricht, dass er noch lebt und im Gefängnis der Stadt Zandschan inhaftiert sei. Bezüglich Isa Pur und Sirwan Njawi gibt es Informationen, dass sie sich im Gefängnis der Stadt Täbris befinden. Durch ungenaue und widersprüchliche Informationen wird psychologische Kriegsführung betrieben. Die Angehörigen und die kurdische Bevölkerung sollen offenbar verunsichert werden.

Was sind diesbezüglich Ihre Anliegen?

Wir fordern, dass Behörden genaue Informationen über das Schicksal der politischen Gefangenen geben. Allgemein wollen wir die Abschaffung der Todesstrafe. Konflikte können grundsätzlich nur im Dialog gelöst werden. Der Iran ist eine historische Nation mit einer langen Kulturgeschichte. Die Abschaffung der Todesstrafe wäre ein gutes Signal für eine Demokratisierung des Landes. Dies sollte weltweit geschehen, sie verstößt gegen die Menschenrechte.

Mit welcher Begründung wurden die Betroffenen zum Tode verurteilt?

Im Grunde waren es ähnliche Vorwürfe. Ein Beispiel: Saman Naseem soll mit 17 Jahren als Mitglied der PJAK an Auseinandersetzungen mit den Revolutionsgarden beteiligt gewesen sein. Deshalb wurde er im April 2013 in Mahabad wegen »Feindschaft zu Gott« und »Verdorbenheit auf Erden« zum Tode verurteilt. Ein 2011 erzwungenes schriftliches Geständnis zog er vor Gericht zurück und gab an, den Inhalt des Schriftstücks nicht gekannt zu haben, da ihm während des gesamten Verhörs die Augen verbunden gewesen seien. Er hatte zu Beginn der Ermittlungen keinen Zugang zu seinem Rechtsbeistand. Außerdem teilte er mit, gefoltert worden zu sein, indem man ihn längere Zeit kopfüber aufgehängt habe.

Gibt es einen besonderen Grund, dass die Todesstrafe gerade jetzt angedroht wurde?

Am 20. November 2014 trat Saman Naseem gemeinsam mit 26 kurdischen Mitgefangenen in den Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen im Trakt für politische Gefangene des Zentralgefängnisses von Urmia zu protestieren. Die Behörden drohten, die Hinrichtung von Saman Naseem und neun weiteren Todestraktinsassen umgehend auszuführen. Nach 33 Tagen beendeten die Männer den Hungerstreik, nachdem man ihnen zugesichert hatte, ihre Forderungen zu erfüllen. Dann wurden auch die Eltern eines Betroffenen bedroht, um sie dazu zu bringen, vor laufender Kamera zu sagen, dass sie die Hinrichtung richtig fänden, weil ihr Sohn Terrorist gewesen sei. Insgesamt droht im Iran mehr als 45 Menschen aus politischen Gründen die Hinrichtung. ORTE und FPPK fordern internationale Solidarität und größeren Druck durch EU und Bundesregierung, um das zu verhindern. Wir sprechen uns allerdings klar gegen die Politik der Destabilisierung des Mittleren Ostens durch ausländische Interventionen aus. Die Region kann nur von der dort lebenden Bevölkerung demokratisiert werden.