Neue Zürcher Zeitung, 06.03.2015 http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/mit-der-planierraupe-gegen-die-wiege-der-menschheit-1.18497010 IS verwüstet Nimrud Mit der Planierraupe gegen die Wiege der Menschheit Inga Rogg, Istanbul Das Ausgrabungsgelände
von Nimrud mit Funden aus der assyrischen Zeit. Das Ausgrabungsgelände
von Nimrud mit Funden aus der assyrischen Zeit. (Bild: Unesco) Erst vor einer Woche wüteten die Extremisten des Islamischen Staates (IS) im Museum von Mosul, nun nahmen sie sich Nimrud vor. Auf ihrem Feldzug gegen das Kulturerbe des Iraks verwüsteten die Jihadisten die mehr als 3000 Jahre alte assyrische Stadt. Die Leiterin der Unesco, Irina Bokova, nannte das Zerstörungswerk am Freitag ein Kriegsverbrechen. Juwel des Assyrer-Reichs Nach Angaben der irakischen Regierung rückten die IS-Leute am Donnerstag auf Nimrud vor. Während sie im Museum von Mosul noch Vorschlaghammer und Pressluftbohrer benutzten, um Kulturobjekte zu zerstören, benutzten die Fanatiker dieses Mal Planierraupen, mit denen sie die Ausgrabungsstätte platt wälzten. Der Palast von Assurnasirpal II. aus dem 9. Jahrhundert vor Christus mit seinen reich verzierten Reliefs, edlen Hölzern und Elfenbeinschnitzereien ist berühmt. Ende der achtziger Jahre hatte ein irakisches Grabungsteam in einer Grabkammer den «Schatz von Nimrud» entdeckt, in dem sich Goldschmuck, Juwelen und zeremonielle Gegenstände einer assyrischen Königin befanden. Wie gross das Vernichtungswerk der Extremisten ist, war zunächst unklar. Viele bedeutende Funde befinden sich heute in Bagdad oder im Besitz von Museen in Berlin, London oder Paris. Darüber hinaus hatten die Fundstätten in der Umgebung von Mosul bereits unter der Vernachlässigung durch die irakischen Regierungen seit dem Golfkrieg 1991 gelitten. Seit 2002 stehen Nimrud und Hatra, die Hauptstadt des Parther-Reichs südwestlich von Mosul, auf der Unesco-Liste des gefährdeten Weltkulturerbes. Experten befürchten, dass auch Hatra dem Vandalismus zum Opfer fallen könnte, zumal der Schmuggel von Artefakten eine wichtige Einnahmequelle der Extremisten ist. Tikrit-Offensive Mit ihrem Feldzug gegen das Kulturerbe zerstören die Fanatiker auch das Einzige, was die Iraker über die ethnischen und religiösen Gräben hinweg eint: Ihr Stolz, die Wiege der Menschheit zu sein. Angesichts der Barbarei rief Grossayatollah Ali Sistani, der höchste schiitische Geistliche im Land, die Iraker am Freitag auf, die Reihen im Kampf gegen den Islamischen Staat zu schliessen. Die grausame Organisation zeige täglich, dass sie weder Menschen noch Steine verschone, erklärte Sistani in der Freitagspredigt, die ein Vertrauter in Kerbala hielt. Unterstützt von Iran, haben irakische Truppen und schiitische Milizionäre am Montag eine Grossoffensive auf Tikrit begonnen. Der Angriff auf den IS in der zentralirakischen Stadt, die auf halber Strecke zwischen Mosul und Bagdad liegt, gilt als wichtiger Test für den Kampf gegen die Fanatiker. Nach Angaben der Regierung in Bagdad ist es den Milizionären und Soldaten gelungen, dem IS um die 100 Ortschaften zu entreissen. Dabei handelt es sich jedoch grossteils um kleine Weiler. Vielerorts haben die Extremisten die Strassen und Wege mit Sprengfallen vermint. In Tikrit selbst sollen sie Häuser vermint haben. Viele Bewohner der Stadt, aber auch der umliegenden Gegenden sind sowohl vor dem IS wie den Angriffen der Regierung geflohen. Nach Angaben der Uno
haben in den letzten Tagen weitere 23 000 Personen die Flucht ergriffen.
Am Freitag rückten die Einheiten offenbar auf Awja, den Geburtsort des
ehemaligen Despoten Saddam Hussein vor. Die Kleinstadt südlich von Tikrit
sei befreit, sagte Hadi al-Ameri, der Chef der Badr-Miliz , einer der
schlagkräftigsten schiitischen Milizen im Irak. Bestätigen liess sich
die Nachricht am Freitagabend noch nicht.
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