junge Welt, 07.03.2015

https://www.jungewelt.de/2015/03-07/004.php

Aufbruch der Frauen

In der nordsyrischen Region Rojava sollen Kooperativen helfen, Gleichberechtigung auf ökonomischem Gebiet herzustellen

Von Ulla Jelpke

Die Kurdinnen von Rojava, die sich mit der Kalaschnikow in der Hand den mörderischen Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staates (IS ) entgegenstellten, haben weltweite Bekanntheit erlangt. Doch die mediale Fixierung auf die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) verstellt leicht den Blick auf den alle Lebensbereiche umfassenden Aufbruch der Frauen in der Selbstverwaltungsregion Rojava im Norden Syriens. Der einer Verfassung entsprechende Gesellschaftsvertrag sichert ihnen hier alle politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte zu. Zu diesem für die Nahostregion an sich schon revolutionären Gleichheitspostulat kommen noch das ausdrückliche Recht der Frauen auf Selbstverteidigung und darauf, jegliche Diskriminierung aufzuheben und sich ihr zu widersetzen. Eine Frauenquote von 40 Prozent sowie weiblich und männlich besetzte Doppelspitzen in allen gemischtgeschlechtlichen Gremien der auf Räten basierenden Selbstverwaltung einschließlich der Justiz garantieren die Beteiligung der Frauen am politischen Leben.

Dagegen ist ihre ökonomische Situation in der wirtschaftlich unterentwickelt gehaltenen Region weiterhin prekär. Die Kurdinnen überwiegend von ihren Ehemännern oder Vätern abhängig und gehen nur selten einer Erwerbsarbeit nach. Der Aufbau von Genossenschaften mit Frauenarbeitsplätzen soll Gleichberechtigung auch auf wirtschaftlichem Gebiet schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Ende 2013 auf Initiative des Frauendachverbandes Yekitiya Star in Qamischli gegründete Nähkooperative, die Birgit Haubner im Oktober 2014 besuchen konnte. Die für wirtschaftliche Entscheidungen zuständigen Vorsitzenden werden von allen Beschäftigten gewählt.

Schon im Sommer 2013 konnte das Frauenzentrum SARA in Qamischli eröffnet werden. Mit Hilfe dieser Einrichtung soll durch Beratung und Öffentlichkeitsarbeit Gewalt gegen Frauen bekämpft werden. Neben tief verankerten patriarchalen Strukturen spiele dabei vor allem die Kriegssituation und die Armut eine Rolle, erzählte Nura Khalil bei den Aufnahmen. Sie ist eine von 13 Ehrenamtlichen, die Betroffenen persönliche und juristische Unterstützung anbieten. In einem ehemaligen Hotel in Rimelan ist die Frauenakademie von Yekitiya Star untergebracht. Mit mehrwöchigen Kursen für Teilnehmerinnen jedes Alters wird das Ziel verfolgt, durch die Auseinandersetzung mit Unterdrückungsmechanismen den Einfluss der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu stärken. Dabei solle die herrschende »patriarchale Wissenschaft und Geschichtsschreibung aufgebrochen werden«, sagte Büroleiterin Berjam.