spiegel.de, 11.03.2015

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-gewalt-von-polizei-bei-gedenken-an-gezi-opfer-a-1023067.html

Todestag des 15-jährigen Berkin Elvan: Türkische Polizei setzt Wasserwerfer gegen Gedenkmärsche ein

Berkin Elvan starb vor einem Jahr: In mehreren türkischen Städten haben Menschen des verstorbenen Jungen gedacht, der am Rande der Gezi-Proteste von einer Tränengaspatrone getroffen wurde und danach ins Koma fiel.

Im Juni 2013 war Berkin Elvan von einer Tränengaspatrone am Kopf getroffen worden. Am 11. März 2014 starb der 15-Jährige an den Folgen seiner Verletzungen. Mit Gedenkmärschen wollten Demonstranten in türkischen Städten an den Tod des Jungen erinnern. Doch auch am Mittwoch gab es bei den Protesten wieder Gewalt. Die Polizei setzte in Istanbul Tränengas und Wasserwerfer ein, einige Demonstranten warfen Steine und Molotowcocktails, berichtete ein Fotograf der Nachrichtenagentur AP.

Auch in Ankara, Izmir und rund zwanzig anderen Städten gingen die Menschen im Gedenken an den getöteten Berkin Elvan auf die Straße - und wurden oft von den Sicherheitskräften auseinandergetrieben. In Ankara wurden der Lokalpresse zufolge elf Menschen festgenommen, als sie Gerechtigkeit für das Opfer der Polizeigewalt forderten. Auch aus Istanbul wurden mehrere Festnahmen gemeldet, dort wollten sich Regierungsgegner vor dem Gezi-Park versammeln. Auf einem ihrer Plakate stand: "Berkin ist hier."

Die Nachrichtenagentur DHA meldete, die Polizei habe am Mittwoch etwa zehn Jugendliche vor dem Gezi-Park festgenommen, nachdem diese aus Protest rote Farbe auf die Stufen vor dem Park geschüttet hatten.

Berkin war im Juni 2013 von einer Tränengaspatrone am Kopf getroffen worden, als er nach Angaben seiner Eltern Brot kaufen wollte und dabei in die Unruhen im Zuge der Gezi-Proteste geriet. Er fiel für 269 Tage ins Koma und starb am 11. März 2014. Bislang wurde kein Polizist dafür vor Gericht gestellt.

Nach Angaben der Anwältin der Hinterbliebenen, Aycan Cicek, stehen die Untersuchungen des Vorfalls still. Der Tagezeitung "Evrensel" sagte Cicek, die Behörden weigerten sich, die Namen der damals diensthabenden Polizisten herauszugeben. Daher könne keine Anklage erhoben werden.

Die geplante Zerstörung des Gezi-Parks im Herzen Istanbuls hatte am 31. Mai 2013 massive Proteste ausgelöst. Sie wuchsen dann zur größten Protestbewegung in der Türkei an. Auf Demonstrationen stellten sich Bürger gegen den damaligen Regierungschef und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Im Zuge der Proteste verloren mindestens acht Menschen ihr Leben.

Erdogan hatte Berkin als "Terroristen" bezeichnet und seine Anhänger bei einer Kundgebung ermutigt, die Mutter des Jungen auszubuhen. Der Polizei bescheinigte er, sie habe während der Gezi-Unruhen ein "Heldenepos" geschrieben. Das Parlament prüft derzeit ein Gesetzesvorhaben, das der Polizei bei Demonstrationen noch mehr Handlungsspielraum geben soll. Die Opposition sieht darin den Versuch, aus der Türkei einen Polizeistaat zu machen.