Frankfurter Rundschau, 11.03.2015 Wasserwerfer gegen Gedenkmärsche In Istanbul werden Wasserwerfer gegen die Demonstranten eingesetzt. In mehreren türkischen Städten gedenken Demonstranten des Todes eines Jungen, der bei den Gezi-Protesten durch eine Tränengaspatrone getötet wurde. Die Bereitschaftspolizei setzt Tränengas und Wasserwerfer ein, die Demonstranten werfen Steine und Molotowcocktails. Die türkische Polizei ist am Mittwoch in mehreren Städten gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen, die des Todes eines 15-Jährigen durch eine Tränengaspatrone vor einem Jahr gedachten. Im Istanbuler Stadtteil Okmeydani, in dem Berkin Elvan tödlich verletzt worden war, gab es Zusammenstöße mit linksextremen Regierungsgegnern, wie ein AFP-Fotograf beobachtete. Die Bereitschaftspolizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein, die Demonstranten warfen Steine und Molotowcocktails. Auch in Ankara, Izmir und rund zwanzig anderen Städten gingen die Menschen im Gedenken an Berkin auf die Straße - und wurden oft von den Sicherheitskräften auseinandergetrieben. In Ankara wurden der Lokalpresse zufolge elf Menschen festgenommen, als sie Gerechtigkeit für das Opfer der Polizeigewalt forderten. Auch aus Istanbul wurden mehrere Festnahmen gemeldet, dort wollten sich Regierungsgegner vor dem Gezi-Park versammeln. Auf einem ihrer Plakate stand: "Berkin ist hier." Die geplante Zerstörung des Parks im Herzen Istanbuls hatte am 31. Mai 2013 massive Proteste ausgelöst, die zur bis dahin härtesten Kraftprobe für die konservativ-islamische Regierung des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde. Berkin war im Juni 2013 von einer Tränengaspatrone am Kopf getroffen worden, als er nach Angaben seiner Eltern Brot kaufen wollte und dabei in die Unruhen geriet. Er fiel für 269 Tage ins Koma und starb am 11. März 2014. Bislang wurde kein Polizist dafür vor Gericht gestellt. Eltern fordern Schmerzensgeld Im Zuge der Anti-Erdogan-Proteste verloren mindestens acht Menschen ihr Leben. Besonders der Tod des 15-jährigen Berkin wurde aber zu einem traurigen Symbol für die Polizeigewalt. Nach der Nachricht von seinem Tod waren vor einem Jahr landesweit hunderttausende Menschen auf die Straßen gezogen, auch an seiner Beisetzung nahmen zahllose Istanbuler teil. Erdogan hatte den Jugendlichen als "Terroristen" bezeichnet und seine Anhänger bei einer Kundgebung ermutigt, die Mutter des Jungen auszubuhen. Der Polizei bescheinigte er, sie habe während der Gezi-Unruhen ein "Heldenepos" geschrieben. Das Parlament prüft derzeit ein Gesetzesvorhaben, das der Polizei bei Demonstrationen noch mehr Handlungsspielraum geben soll. Die Opposition sieht darin den Versuch, aus der Türkei einen Polizeistaat zu machen. Der Intellektuellen-Verband
"Sanat Meclisi" appellierte am Mittwoch an die Politiker des
Landes, den Tod Berkins nicht länger ungesühnt zu lassen. Die Eltern fordern
nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Dogan vom Innenministerium Schmerzensgeld
von umgerechnet 350.000 Euro. Im westlichen Izmir wurde am Mittwoch eine
kleine Statue von Berkin beschädigt: Unbekannte fügten ihr am Kopf eine
dicke Schramme zu, womöglich um an die tödliche Verletzung zu erinnern.
Auf Twitter verschickten am Mittwoch zahlreiche Türken die Nachricht "Wir
haben Dich nicht vergessen, Berkin Elvan". (afp)
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