Augsburger Allgemeine, 11.03.2015

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Erdogan macht Druck auf türkische Zentralbank

Der türkische Präsident macht Druck auf die Zentralbank seines Landes. Weil die Wirtschaft schwächelt, sollen die Zinsen gesenkt werden. Doch die Zentralbank fordert Unabhängigkeit. Von Susanne Güsten

Recep Tayyip Erdogan beansprucht als türkischer Präsident die Rolle als oberste Entscheidungsinstanz im Land – und findet, auch die nominell unabhängige Zentralbank sollte sich nach seinen Wünschen richten. Seit Monaten schimpft er über die Währungshüter, weil sie seine Forderung nach radikalen Zinssenkungen nicht befolgen. Er warf der Zentralbank sogar Landesverrat vor. Der Druck macht Investoren nervös und ist einer der Gründe dafür, dass die Lira gegenüber dem Dollar dramatisch an Wert verliert, rund zwölf Prozent seit Jahresbeginn. Doch Erdogan hat andere Prioritäten. Ihm geht es um die Parlamentswahl im Juni.
Erdogans Druck auf die Zentralbank scharf kritisiert

In der Regierung in Ankara gibt es Kritik am Präsidenten. So sagte Regierungssprecher Bülent Arinc, Erdogans Drohungen gegenüber Zentralbankchef Erdem Basci seien „nicht richtig“. Doch insgesamt trägt die Ministerriege den Kurs des Präsidenten mit und verweist darauf, dass auch andere Währungen – zum Beispiel der Euro – gegenüber dem Dollar an Wert verlieren.

Zentralbank will Unabhängigkeit von Erdogan

Gespannt warteten Marktteilnehmer auf die Ergebnisse eines Treffens von Erdogan mit Zentralbankchef Basci und dem für Wirtschaftsfragen zuständigen Vizepremier Ali Babacan. Basci und Babacan gelten bei Investoren als Garanten einer vernünftigen Geld- und Wirtschaftspolitik in der Türkei – und beide sollen in den vergangenen Wochen wegen der Schimpftiraden von Erdogan und seiner Anhänger kurz vor dem Rücktritt gestanden haben. Laut Presseberichten konnte Babacan, der für die Unabhängigkeit der Zentralbank eintritt, nur mit Mühe davon abgehalten werden, sein Amt aufzugeben. Dieser Schritt hätte bestimmt ein Erdbeben an den türkischen Märkten ausgelöst. Erdogan hatte Basci und Babacan öffentlich gerüffelt und gesagt, sie sollten sich „zusammenreißen“.
Erdogan fordert Zinssenkungen

Der Präsident warf der Zentralbank wegen des Neins zu starken Zinssenkungen unter anderem vor, den „Dienst an der Nation“ zu verweigern. Möglicherweise werde die Zentralbank vom Ausland gesteuert. Der als Gefolgsmann Erdogans bekannte Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci kritisierte die unter dem Druck Ankaras vollzogenen kleineren Zinssenkungen der jüngsten Zeit als „nicht hinnehmbar“. Der Experte Tim Ash von der Londoner Standard Bank kommentierte, die türkische Führung verbreite den Eindruck, als habe sie einen „perversen Wunsch nach einer Währungskrise“.

Angesichts der relativ hohen Inflation von zuletzt 7,55 Prozent hat Währungshüter Basci kaum Spielraum für Erdogans geforderte Zinssenkungen. Der Präsident betont trotzdem, nur stark reduzierte Zinsen könnten Investitionen und ein stärkeres Wachstum ermöglichen.

Die türkische Wirtschaft schwächelt

Nach einem Jahrzehnt traumhafter Wachstumsraten von teilweise neun Prozent im Jahr hat sich die türkische Konjunktur abgekühlt. Im vergangenen Jahr lag das Wachstum noch bei drei Prozent – gemessen an europäischen Verhältnissen ein stolzes Ergebnis, aber angesichts der wachsenden Bevölkerung der Türkei zu wenig. Die Arbeitslosigkeit ist auf mehr als zehn Prozent gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 20 Prozent. Vor der Parlamentswahl am 7. Juni sind das für Erdogans Regierungspartei AKP ungünstige Vorzeichen. Erdogan will ein gutes Ergebnis für die AKP bei der Wahl, um anschließend eine Verfassungsreform zur Einrichtung eines Präsidialsystems in der Türkei durchzusetzen.

Dieses Ziel ist für Erdogan viel wichtiger als die Zentralbank. Um die Märkte nachhaltig zu beruhigen, wäre ein öffentliches und unzweideutiges Bekenntnis des Präsidenten zur Unabhängigkeit der Bank nötig. Doch das ist von Erdogan kaum zu erwarten. Gerade im Wahlkampf ist ihm daran gelegen, die Verantwortung für wirtschaftliche Probleme angeblichen Gegnern, Feinden der Türkei oder eben den „Landesverrätern“ von der Zentralbank in die Schuhe schieben zu können.