Frankfurter Rundschau, 15.03.2015

Türkei

„Es ist erlaubt, euch zu vergewaltigen“

Von Frank Nordhausen

Eine Lehrerin beschimpft in Anatolien Schülerinnen ohne Kopftuch - und löst in der Türkei eine laute Debatte aus.

Im Internet-Zeitalter bleiben auch skandalöse Vorgänge kaum unbemerkt. In der Türkei wurde bekannt, dass eine Koranlehrerin in der zentralanatolischen Provinz Tokat halbwüchsige Schülerinnen beschimpfte, weil sie kein Kopftuch im Unterricht trugen. „Ihr bedeckt eure Köpfe nicht, deshalb ist es im Islam erlaubt, euch zu vergewaltigen oder anderes Grausames anzutun“, soll die Lehrerin einer Mittelschule zu Siebtklässlerinnen gesagt haben.

Die unerhörte Ansprache löste zunächst im Internet einen Sturm der Empörung aus. Später bestätigten Eltern der betroffenen Mädchen den Vorfall der Nachrichtenagentur Dogan. Demnach fühlte sich die Koranlehrerin gestört, weil die 17 anwesenden gemischtgeschlechtlichen Schüler im Unterricht lieber miteinander redeten als der Lehrkraft zu lauschen.

Laut den Eltern passte der Pädagogin außerdem das Verhalten von Schülerinnen nach der versuchten Vergewaltigung und Ermordung der 22-jährigen Özgecan Aslan vor einem Monat in der Südtürkei nicht. Statt auf der Straße zu demonstrieren hätten sie lieber für die Tote beten sollen, wurde die Lehrerin zitiert – „sonst endet ihr wie Özgecan“. Der brutale Mord an der kurdisch-alevitischen Studentin hatte die Türkei aufgewühlt und eine Debatte über die grassierende Gewalt gegen Frauen angestoßen.

Erdogans Agenda

Der neue Vorfall verstärkt Befürchtungen vor einer zunehmenden Islamisierung der säkularen Türkei durch die regierende islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Als die AKP vor zwölf Jahren an die Regierung kam, waren Kopftücher in türkischen Schulen noch ebenso verboten wie in Universitäten und staatlichen Behörden. Der AKP-Mitgründer, langjährige Ministerpräsident und jetzige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, nutzte den Kampf gegen die Diskriminierung der Kopftuchträgerinnen, um die konservativen religiösen Massen zu mobilisieren. 2013 wurde das Kopftuchverbot auch in Schulen aufgehoben. Erdogan erinnert gern an das Verbot, um vor dessen angeblich drohender Wiedereinführung durch die Opposition zu warnen.

Inzwischen glauben viele säkulare Türken, dass es der AKP nicht so sehr um die Rechte religiöser Frauen, als vielmehr um die Durchsetzung der islamistischen Agenda ging. Statt des Kopftuchverbots befürchten sie den Kopftuchzwang – durch Nachbarn, Imame und Lehrer, so wie man in konservativen Regionen Anatoliens schon nicht mehr wagen kann, im Fastenmonat Ramadan öffentlich einen Schluck Wasser zu trinken. AKP-Abgeordnete und der Partei nahestehende Zeitungen fordern den Kopftuchzwang für 13-Jährige und das Ende der Koedukation in Schulen.

Eltern fordern die Entlassung

Tokat ist eine Provinz, in der viele Aleviten leben. Sie legen den Islam liberal aus, die Frauen tragen meist kein Kopftuch. Mahmut Demirbag, der Direktor der skandalgeschüttelten Mittelschule, erklärte inzwischen, dass die Lehrerin sich für ihre Kommentare entschuldigt habe. Das reicht vielen Eltern nicht. Sie fordern die Entlassung der Frau und kündigen juristische Schritte an. „Sie hat 13-jährige Mädchen im freiwilligen Koranunterricht beleidigt. Eine solche Lehrerin kann meine Tochter nicht unterrichten“, sagte eine betroffene Mutter. Die Pädagogin wurde „vorübergehend“ an eine andere Schule versetzt.

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