telepolis, 16.03.2015

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"Ich will ein Teil der Revolution in Rojava sein"

Fabian Köhler 16.03.2015

Als Ivana Hoffmann mit den Kurden in den Krieg gegen den Islamischen Staat zog und dabei das Leben verlor

Vergangene Woche starb Ivana Hoffmann an der Seite kurdischer Kämpfer im Kampf gegen den IS. Die 19-jährige Frau aus Duisburg hinterlässt zwei Fragen: "Warum?" und "Warum nicht?"

Ich kann die schönsten Farben nicht mehr auseinander halten, den Wind der Stadt spüre ich nicht mehr auf meiner Haut, das Singen der Vögel hört sich stärker nach dem Ruf der Freiheit an. Ich habe einen Entschluss gefasst, ich habe Tage und Nächte mit den Gedanken in meinem Kopf gelebt und heute ist der Tag, an dem ich mit meinem Willen, der so stark ist wie die Strömung des Flusses Dîcle-Firat, den Schritt gehen werde. Ich will ein Teil der Revolution in Rojava sein. Ivana Hoffmann

Ivana Hoffmann. Bild: Solidaritätskomitee Ivana Hoffmann

Was, wenn dies gar nicht die Geschichte über die Widersprüchlichkeit einer jungen Deutschen ist, die ihr bürgerliches Zuhause verließ, um in den Krieg in Syrien zu ziehen? Vielleicht war es gar keine Revolutionsromantik, in der sich die eine Duisburger Schülerin verlor, um dann ihr Leben durch Kugeln des IS zu verlieren. Was, wenn Ivana Hoffmanns Kampf an der Seite kurdischer Milizen einfach nur konsequent war?

"Ivana verstand sich als Internationalistin, deshalb ging sie nach Rojava und deshalb gedenken wir ihrer heute", ruft eine junge Frau vom Lautsprecherwagen in Kreuzberg. Sechs Tage nachdem die Nachricht von ihrem Tod im Nordosten Syriens Deutschland erreichte, ziehen rund 200 Menschen durch Berlin. Auf Transparenten prangt vor Hammer und Sichel das Foto Hoffmanns. Daneben das Logo der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP). An der Seite der in der Türkei verbotenen Partei ging Ivana Hoffmann vor einem dreiviertel Jahr nach Syrien, um gegen den IS zu kämpfen. Jetzt ist sie tot.

Gedenkfeier in Berlin. Bild: F. Kröger
Sie war nicht zum Islam konvertiert

Zeitungen von BILD bis zum britischen Guardian berichten über das vermeintliche Kuriosum einer 19-jährigen Schülerin aus Duisburg, die am 7. März im Kampf gegen den IS ums Leben kam. Die Duisburger Staatsanwaltschaft beschlagnahmte ihren Leichnam. Boulevardsendungen berichten über die "erste Deutsche, die im Kampf gegen den IS starb."

Am Kottbusser Tor streckt ein junger Mann die Faust in die Luft: "Ivana war nicht die erste Deutsche", sagt er, der Franz genannt werden möchte. Es ist unwahrscheinlich, dass er wirklich so heißt. "Warum habt ihr nicht über Suphi berichtet?" Der 30-jährige Suphi Nejat Ağırnaslı stammte ebenso wie Ivana aus Duisburg. Wie sie schloss er sich den kurdischen Volksverteidigungseinheiten in Rojava an - so nennen Kurden, den von ihnen besiedelten Nordostens Syriens. Er starb im Oktober des vergangenen Jahres bei der Verteidigung der kurdischen Stadt Kobane gegen den IS.

Ivana Hoffmann in Syrien. Bild: Solidaritätskomitee Ivana Hoffmann

Anders als Hoffmann stammt Ağırnaslı aus einer kommunistischen Familie. Schon vor Jahren zog er als Sohn türkischer Eltern nach Istanbul. Hofmanns Fall ist hingegen deshalb so aufsehenerregend, weil die Antwort auf das "Warum?" in kein Klischee über Menschen passt, die in Syrien zu den Waffen greifen: Nein, Hoffmann stammt nicht aus Syrien. Nein, ihre Familie hat keine kurdischen Wurzeln. Nein, sie war nicht zum Islam konvertiert.
Das übliche Programm linkspolitischer Sozialisation

Ivana Hofmann wurde am 1. September 1995 in der 30.000 Einwohner Stadt Emmerich nahe der niederländischen Grenze geboren. Als Kind spielte sie Fußball. Ihr Vater stammt aus Togo, aber den hatte sie schon einige Jahre nicht mehr gesehen. Ihre Jugend verbrachte sie im Duisburger Stadtteil Meiderich: Gründerzeithäuser und Zechensiedlungen. Studenten, Migranten, ein paar Nazis, Bürgerliche und Arbeitslose. Ein ziemlich gewöhnlicher westdeutscher Stadtteil.

Aus der Schule habe sie immer gute Noten mit nach Hause gebracht, berichtet ihre Mutter in einem Interview. Sie stand kurz vor dem Abitur. Nebenbei durchläuft Hoffmann das übliche Programm linkspolitischer Sozialisation. Im Jahr 2009 organisiert sie mit 14 Jahren den Bildungsstreik in ihrer Stadt mit. Es folgen Blockupy-Proteste, Anti-Nazi-Demos.

"Sie war der sozialste und lustigste Mensch, den wir hier hatten", erzählt Franz. Auch er stammt aus Duisburg, hat Hoffmann bei den Bildungsstreik-Demos kennengelernt. Neben ihm halten Kinder das Porträt einer getöteten kurdischen Kämpferin in die Luft und rufen "Hoch die internationale Solidarität". Am Straßenrand flüstert schmunzelnd ein Pärchen: "Dass es die immer noch gibt."

2011 schließt sie sich Hoffmann "Young Struggle". Die Aktivistengruppe soll der MLPK nahe stehen. 2012 tritt sie in einen Solidaritätshungerstreik mit kurdischen PKK-Häftlingen. 2013 reist sie zum ersten Mal zu kommunistischen Demonstrationen in die Türkei. "Dass Ivana kämpfen wollte, wussten viele", sagt Franz: "Aber, dass sie es wirklich tut..." . Sie hätten in dieser Zeit viel geredet über die Gewalt in Syrien, über Frauen, die ermordet oder versklavt werden. "Ivana hat immer gesagt, dass man eigentlich viel mehr machen müsste."
Der Krieg in Syrien und dem Irak war längst zu einem deutschen geworden

Es war die Zeit, als der Islamische Staat in Syrien und im Irak plötzlich immer mehr Städte unter seine Kontrolle brachte. Als die Massaker an Schiiten, Jesiden und Kurden weltweit die Schlagzeilen bestimmten. Im Bundestag wurde wochenlang über Kampfeinsätze debattiert. In vielen Großstädten forderten Demonstranten ein Ende des PKK-Verbots. Es war die Zeit, als der Krieg in Syrien und im Irak längst auch zu einem deutschen geworden war.

Von über 650 Deutschen, die in Syrien kämpfen, spricht das Bundesamt für Verfassungsschutz. Fast alle von ihnen stehen auf der Seite des Islamischen Staates oder anderer islamistischer Milizen. Allenfalls ein paar Dutzend Männer und Frauen kämpfen auf der Seite der Kurden. Im Frühjahr 2014 hat Hoffmann offenbar genug vom Demonstrieren und Diskutieren. "Plötzlich war sie einfach verschwunden", sagt Franz.

Nichts hält mich mehr hier. Ich kann nicht tatenlos zusehen, während meine Schwestern, Brüder, Freunde, Mütter, Väter, Genossen um die Freiheit, um die Unabhängigkeit vom Kapitalismus kämpfen. Ich werde den Internationalismus der Partei vertreten und ein Teil der organisierten bewaffneten Bewegung sein.
Ivana Hoffmann

Screenshot aus dem Ethna-Video

Ein Brief an ihre "Genossen von der MLKP" ist eines der wenigen Zeugnisse von Hoffmanns Entschluss. Vor wenigen Wochen erst wird sie in einem Video der linken türkischen Nachrichtenagentur Ethna erneut auftauchen. Unter ihrem Kampfnamen Avaşin Tekoşin Güneş, vermummt, mit Maschinengewehr in der Hand, erzählt sie, dass sie am Rande des vom IS kontrollierten Gebietes im Einsatz sei: "Mein Entschluss, nach Rojava zu kommen, ist, weil man hier für die Menschlichkeit kämpft, für die Rechte, für unseren Internationalismus, den die MLKP vertritt."
Pilotprojekt für eine freie Welt

Das vom PKK-Ableger PYD kontrollierte Rojava ist für viele Kurden und Linke eine Art Pilotprojekt - nicht nur für den erfolgreichen Kampf gegen den IS. Rojava gilt als Sinnbild einer neuen freien Gesellschaft, das zum Vorbild für die ganze Region werden solle. Auch für die Befreiung der Frauen: Mehr als jeder dritte Kämpfer in den kurdischen Milizen soll weiblich sein, einige Quellen sprechen sogar von 40 Prozent Frauen bei den "Volksverteidigungseinheiten" (YPG). Insgesamt sind es zwischen 7.000 und 10.000.

Auch Hoffmann kämpfte unter dem Kommando des kurdischen Frauenbataillons YPJ. In Kobane soll sie am Kampf gegen den IS beteiligt gewesen sein, die Befreiung im Januar miterlebt haben. Als Mitte Februar IS-Kämpfer in das kurdischen Kanton Cizîr nordwestlich der Kantonshauptstadt Hassaka vorrückten, beteiligte sie sich an der Verteidigung christlicher Dörfer. Zuletzt kämpfte sie im Dorf Til Temir rund 200 Kilometer östlich von Kobane gegen den den IS.

Trauerfeier für Hoffmann in Rojava. Bild: YPG

"Unsere Genossin, unsere Waffenfreundin, die Quelle der Freude unserer Einheit Avaşin Tekoşin Güneş haben wir in Til Temir in die Unendlichkeit verabschiedet. Unser Schmerz ist groß. Unsere Wut so groß wie die Berge." Vom Lautsprecherwagen in Kreuzberg liest eine junge Frau auf Deutsch und Kurdisch die Mitteilung der MLKP über den Tod Hoffmanns vor. Bis "zur letzten Kugel" habe sie gegen die "ISIS-Banden gekämpft" und so die "Pläne der Banden, Til Temir einzunehmen, um neue Massaker zu verüben, ins Leere laufen lassen". Hoffmann stirbt am 7. März um 3 Uhr Ortszeit durch zwei Kugeln der IS-Angreifer (Sargüberführung).

Gedenkfeier in Berlin. Bild: F. Kröger

Am Rande der Demonstration in Kreuzberg verteilt ein Mann Flugblätter mit dem Brief Hoffmanns:

Wenn ich zurückkomme, werde ich meine Genossen, mein Umfeld mit dem Kampfgeist und der Willenskraft anstecken, ich werde wie die schönsten Lieder sein und jeden in meinen Bann ziehen. Ich werde eine Guerilla voller Nächstenliebe und Hoffnung.

Der Kreuzberger Gedenkmarsch zieht am Abend vorbei an Kneipen und Cafés. Ein paar Dutzend Demonstranten sing "Bella Ciao". Touristen fotografieren sich vor den kommunistischen Fahnen. "Ich bin weder Anhänger der PKK noch der MLKP. Aber die Frage ist doch nicht, warum Ivana gegangen ist. Die Frage ist, warum wir alle noch hier sind", sagt Franz.

Am Samstagabend wurde der Leichnam Hoffmanns unter der Anteilnahme von 4.000 Menschen in Duisburg beigesetzt. Die Bundesanwaltschaft hat angekündigt, Ermittlungen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu prüfen. Gemeint ist nicht der IS, sondern Hoffmanns MLKP.