abendblatt.de, 17.03.2015

http://www.abendblatt.de/politik/article205209359/Wie-deutsche-Waffen-im-Kampf-gegen-IS-helfen.html

Erbil

Wie deutsche Waffen im Kampf gegen IS helfen

Alfred Hackensberger

Wichtigste Verbündete der Kurden im Nordirak sind die Milan-Panzerabwehrraketen

Erbil. Auf dem Display hat Oberstleutnant Basit den Lkw sofort im Visier. Das Fahrzeug kommt auf dem holprigen Gelände schnell näher. Auf der Ladefläche liegt eine tödliche Fracht: Hunderte mit Sprengstoff gefüllte Benzinkanister, die der Fahrer per Knopfdruck zünden kann. Nur durch einen Sehschlitz kann der Selbstmordattentäter am Steuer sein Ziel erkennen – den Posten der kurdischen Peschmerga-Truppen nördlich der irakischen Metropole Mossul.

Doch dort kommt das Fahrzeug nicht an. Basit wartet, bis der Lkw noch eineinhalb Kilometer entfernt ist, dann feuert er. Das Projektil zischt dem Wagen entgegen. Auf dem kleinen Monitor des Abschussgerätes kann Basit das Kamerabild sehen, das die Rakete sendet. Mit einem kleinen Steuerknüppel korrigiert er ihren Kurs leicht, dann schlägt sie ein. Der Lkw explodiert mit einem ungeheuren Donner. Ein Feuerball steigt in den Himmel. "Das ist deutsche Qualitätsarbeit", sagt Basit und lächelt zufrieden.

Der Oberstleutnant hat gerade eine deutsche Panzerabwehrrakete vom Typ Milan abgefeuert. Tausende Gewehre, Handgranaten und mehrere Millionen Schuss Munition hat die Bundesrepu­blik den Truppen der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak geschickt, um sie im Kampf gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) zu unterstützen. Aber nichts von all dem ist so effektiv im Kampf gegen die Extremisten wie die kleinen Milan-Lenkraketen. 30 solcher Systeme haben die Kurden bekommen, dazu 500 Granaten. Und deutsche Offiziere haben die Peschmerga in der Handhabung unterwiesen. Ausbildung und Gerät haben zahllosen kurdischen Kämpfern gegen IS das Leben gerettet. Wenn jetzt eine erfolgreiche Offensive gegen die Terrormiliz möglich ist, liegt das auch daran, dass zunächst ihr Vormarsch gestoppt werden konnte – mit der Milan als Superwaffe.

Stolz erzählt Basit, dass er an einem einzigen Tag elf dieser Selbstmordwagen abgeschossen habe. Er hat sein Handwerk in der Infanterieschule der Bundeswehr in Hammelburg gelernt. "Lang hat der Kurs nicht gedauert, vielleicht zehn Tage", sagt Basit. "Aber das hat gereicht." Einige Peschmerga wollen ihre zukünftigen Kinder nach der deutschen Rakete benennen. "Ja klar, warum nicht", sagt einer. Milan sei doch ein schöner Name.

In Deutschland sind die Waffenlieferungen nicht unumstritten. Kritiker meinen, sie widersprächen dem alten Prinzip der Nichteinmischung in akute Konflikte. Dieses Argument versteht hier niemand. "Die Milan-Raketen haben den Krieg gegen den IS zu unseren Gunsten gewendet", sagt Kommandeur Karaman Dasko. Er führt auf das Dach des Militärpostens. "Das gesamte Gebiet hier, nicht weniger als 25 Quadratkilometer, haben wir an einem einzigen Tag eingenommen", sagt Dasko. Früher habe man die Selbstmordattentäter, die mächtigste Waffe der IS-Terroristen, nicht aufhalten können. "Aber damit ist es nun vorbei." Auch Jürgen Bredtmann kann zufrieden sein, der deutsche Sprecher des Kurdistan Trainingskoordinierungszentrums (KTCC) in Camp Zervai am Rand der kurdischen Hauptstadt Erbil. Dort bringen Ausbilder der Bundeswehr, aber auch der Briten und Italiener den Peschmerga das Entschärfen von Bomben bei, Erste Hilfe und Häuserkampf. "Bei einer 1300 Kilometer langen Grenze, die die Kurden gegen IS zu verteidigen haben, klingen 30 Stück nicht viel", sagt Bredtmann. "Aber die Milan ist eine exzellente Waffe gegen diese Selbstmordfahrzeuge."

Es stimme schon, so Bredtmann, dass sie den Krieg gegen IS maßgeblich beeinflusst habe. "Aber man darf auch die Luftangriffe der Koalition nicht vergessen", erklärt Bredtmann. "Ohne die Bombardements gäbe es wahrscheinlich keine Erfolgsmeldungen."

Das amerikanische Oberkommando hatte für April oder Mai einen Großangriff gegen die Zwei-Millionen-Stadt Mossul angekündigt, die IS seit Juni besetzt hält. 25.000 Soldaten der irakischen Armee sollen unter der Mithilfe kurdischer Truppen und von US-Luftangriffen die Herrschaft der Extremisten dort beenden. Derzeit trainieren in Bagdad 300 amerikanische Offiziere irakische Soldaten. Mehr als 3000 Mann werden ihre Ausbildung demnächst abgeschlossen haben. Die Offensive auf Mossul wird kommen, und sie ist nur eine Frage der Zeit

Es wird die entscheidende Operation in dieser Phase des Krieges gegen die Islamisten sein. In Mossul hat IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi einst sein Kalifat ausgerufen. Eine Niederlage in der Hauptstadt der Terrormiliz wäre ein schwerer Schlag für die Organisation. Sie würde ihre wichtigste Basis im Irak verlieren. Das Territorium des Kalifats würde in der Folge in mehrere Teile zersplittert.