Die Presse, 21.03.2015

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PKK-Chef Öcalan plant Newroz-Überraschung

Zu den kurdischen Newroz-Feiern heute, Samstag, soll eine „historische“ Botschaft von Abdullah Öcalan verlesen werden. Der inhaftierte PKK-Chef will bei den Friedensverhandlungen den Druck auf Präsident Erdoğan erhöhen.

unserer Korrespondentin Susanne Güsten (Die Presse)

Istanbul. Der inhaftierte Chef der kurdischen Untergrundorganisation PKK, Abdullah Öcalan, will beim kurdischen Neujahrsfest Newroz heute, Samstag, zum Stand seiner Friedensgespräche mit dem türkischen Staat Stellung nehmen. Bei einer Newroz-Feier im südostanatolischen Diyarbakir wollen die Veranstalter vor mehr als einer Million Teilnehmern eine Erklärung Öcalans verlesen. Der Text wird von Kurdenpolitikern schon jetzt als „historisch“ bezeichnet – und könnte Auswirkungen auf die türkische Parlamentswahl am 7. Juni haben. Öcalan werde sich zu den Bausteinen einer „demokratischen Republik“ in der Türkei äußern, sagte der Kurdenpolitiker Sirri Süreyya Önder, der den PKK-Chef mehrmals in dessen Zelle auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul besucht hat. Öcalan, Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), verhandelt seit Ende 2012 mit dem türkischen Geheimdienst (MIT) über eine friedliche Beilegung des Kurdenkonflikts.

Kurdenvertreter sind unzufrieden

Seit zwei Jahren hält die PKK auf Befehl Öcalans eine Waffenruhe ein, doch kritisieren Kurdenvertreter immer häufiger, dass Ankara nach wie vor substanzielle Zugeständnisse an die Kurden scheut. Die Kurden verlangen unter anderem mehr Sprachfreiheit und regionale Selbstbestimmung. Auch eine Freilassung des seit 1999 inhaftierten Öcalan wird gefordert.

Anfang März hatte Öcalan die PKK aufgerufen, ihre Waffen ganz niederzulegen. Derzeit verhandelt er mit der türkischen Regierung über die Gegenleistungen für diesen endgültigen Gewaltverzicht. Mit Spannung wird erwartet, ob und wie Öcalan diese von Ankara geforderten Konzessionen in seiner neuen Erklärung ansprechen wird.

Nicht nur die Kurden in Diyarbakir, sondern auch die Minister der türkischen Regierung in Ankara und Präsident Recep Tayyip Erdoğan werden aufmerksam zuhören, denn vor der Parlamentswahl im Juni rückt der Friedensprozess immer mehr ins Zentrum des Interesses. Der Kurdenkonflikt bewegt die Wähler laut Meinungsforschern wie kaum ein zweites Thema. Der Druck auf die Regierung, eine Einigung mit Öcalan und der PKK zu ermöglichen, nimmt zu.

Erdoğan, auf dessen Anordnung hin die Friedensgespräche mit Öcalan begannen, zögert jedoch. Der Präsident hat vor allem die nahe Wahl im Auge, bei der er einen neuen Erfolg seiner Regierungspartei AKP anstrebt, um anschließend mit Verfassungsänderungen ein Präsidialsystem in der Türkei zu verankern. Einerseits will Erdoğan nationalistische Wähler nicht durch großzügige Zugeständnisse an die Kurden verärgern, andererseits will er die Kurdenpartei HDP bei der Stange halten, weil er sie möglicherweise noch als Partnerin bei der Durchsetzung des Präsidialsystems braucht.

Einige Experten rechnen deshalb damit, dass Entscheidungen in der Kurdenfrage erst nach dem Wahltag fallen werden. Die HDP liegt in den Umfragen etwa bei zehn Prozent – nur wenn sie diese Marke erreicht, kann sie ins Parlament einziehen. HDP-Chef Selahattin Demirtaş versucht, die Reichweite seiner Partei über die kurdischen Wähler hinaus zu erweitern und alle Erdoğan-Gegner im Land anzusprechen. Im Rahmen dieser Strategie betonte er jetzt, die HDP werde nicht dabei helfen, das von Erdoğan angestrebte Präsidialsystem einzuführen.


AKP muss um absolute Mehrheit bangen

Eine starke HDP im neuen Parlament würde der AKP das Leben schwer machen. Einige Beobachter sehen sogar die absolute Mehrheit der seit 2002 regierenden Erdoğan-Partei für den Fall gefährdet, dass die Kurdenpartei ihr Wahlziel erreicht und mit bis zu 70 Abgeordneten ins Parlament einzieht. Ein solches Ergebnis würde eine AKP-geführte Mehrheitsregierung nach der Wahl sehr unwahrscheinlich machen, sagte der Istanbuler Politologe Behlül Özkan zur „Presse“.

AUF EINEN BLICK

Der Krieg zwischen der kurdischen Untergrundorganisation PKK und dem türkischen Staat dauerte drei Jahrzehnte und kostete etwa 40.000 Menschen das Leben. Anfang 2013 forderte der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan seine Guerrilla-Einheiten auf, den Kampf einzustellen und aus der Türkei abzuziehen. Öcalan verhandelt seit 2013 mit dem türkischen Geheimdienst über eine Friedenslösung. Heute, Samstag, soll eine Grundsatzrede Öcalans zum Friedensprozess verbreitet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)