Neue Zürcher Zeitung, 22.03.2015

http://www.nzz.ch/international/europa/unverbindlicher-oecalan-1.18507643

Friedensbotschaft des PKK-Chefs

Unverbindlicher Öcalan

Marco Kauffmann Bossart, Antakya

Abdullah Öcalan auf Flaggen von Feiernden am kurdischen Neujahrsfest Newroz. Abdullah Öcalan auf Flaggen von Feiernden am kurdischen Neujahrsfest Newroz. (Bild: Reuters)
Der inhaftierte Kurdenführer Öcalan hat offengelassen, wann die PKK ihre Waffen niederlegen wird. Derweil tun sich in der Kurdenpolitik der Türkei Risse zwischen Präsident Erdogan und der Regierung auf.

Der Anführer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, hat sich in einer zum kurdischen Neujahrsfest (Newroz) veröffentlichten Erklärung zum Friedensprozess mit der türkischen Regierung bekannt. Er rief seine Mitstreiter dazu auf, einen Kongress einzuberufen, an dem ein Ende des bewaffneten Widerstands beschlossen werden soll. Öcalan, der 1999 in Kenya verhaftet und später an die Türkei ausgeliefert wurde, verbüsst eine lebenslange Haftstrafe. Seine Botschaft wurde am Samstag in Diyarbakir, der Hochburg der türkischen Kurden, vor Hunderttausenden von Anhängern von einem Parlamentarier der Öcalan nahestehenden Demokratischen Partei der Völker (HDP) verlesen.

Empfehlungen Erdogans

Hatte der PKK-Chef, der auf der Gefängnisinsel Imrali regelmässig Emissäre der HDP empfangen darf, im Februar einen Kongress «in diesem Frühjahr» angeregt, wurde jetzt kein zeitlicher Rahmen mehr gesteckt. Damit ist seine jüngste Verlautbarung eine Bestätigung des Status quo, sie blieb aber hinter den von der HDP geschürten Erwartungen zurück. Zum Neujahrsfest 2013 hatte Öcalan einen Waffenstillstand verkündet. Öcalans Unverbindlichkeit dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass der Friedensprozess in den vergangenen Wochen Rückschläge erlitten hat. Die operative Führung der PKK machte klar, dass die Niederlegung der Waffen kein Thema sei, solange die Schwesterorganisation in Syrien am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat beteiligt sei.

Für Unmut in der kurdischen Minderheit sorgte ein von der Regierung in Ankara eingebrachtes Sicherheitsgesetz, das der Polizei mehr Vollmachten gegen Demonstranten einräumen würde. Präsident Erdogan provozierte derweil mit der Feststellung, es gebe in der Türkei kein Kurdenproblem. Im Übrigen erteilte er einem von der PKK verlangten Einsatz unabhängiger Beobachter für die Überwachung des Friedensprozesses eine Absage. Diese Rolle könne der Geheimdienst ausüben, meinte er. Mit Blick auf die Wahlen im Juni schlägt Erdogan zunehmend nationalistische Töne an.

Ungewohnte Dissonanzen

Mit seinen Äusserungen zur Kurdenpolitik brachte das türkische Staatsoberhaupt allerdings die Regierung gegen sich auf. In ungewohnter Deutlichkeit sprach Vizeministerpräsident Bülent Arinc am Wochenende von unangebrachten, emotional gefärbten Aussagen Erdogans. Der Friedensprozess obliege der Regierung, sagte Arinc. Wenngleich einige Kabinettsmitglieder hinter vorgehaltener Hand darüber murren, dass sich Erdogan im Gegensatz zu seinen Vorgängern unablässig in die Tagespolitik einmischt, wird solches Missfallen sonst nicht an die Öffentlichkeit gebracht. Wie kaum anders zu erwarten, schoss Erdogan zurück und meinte, er sei schliesslich der Präsident. Einig waren sich Regierung und das Staatsoberhaupt am Wochenende indes in ihrem Lob für die Botschaft Öcalans.

Erdogan leitete 2012 als Regierungschef die Annäherung mit den Kurden ein. Der Konflikt hat in den vergangenen 30 Jahren rund 40 000 Menschenleben gefordert. Neben der Türkei stufen auch die Vereinigten Staaten und die Europäische Union die PKK als Terrororganisation ein.